August der Starke zwischen Mythos und Legende
Kunstmäzen, Womanizer, Supermann - Barockfürst August der Starke gilt den Sachsen als Nationalheld. Zu Lebzeiten Meister der Selbstinszenierung, wird er erst nach dem Tod zur Legende.
Das Wichtigste in Kürze
- Zwischen Gloria und Verruf: Sachsen feiert seinen legendären Barockherrscher August der Starke (1670-1733).
Zu dessen 350. Geburtstag (12. Mai) richtet die staatliche Schlösserverwaltung den Fokus weniger auf die historische Persönlichkeit, sondern den Mythos des sächsischen Kurfürsten und polnischen Königs.
«Damit spannen wir den Bogen zu einem Thema, was so überhaupt noch nie in den Blick genommen wurde», sagte Geschäftsführer Christian Striefler am Montag. Filme, Tafeln, Installationen und Kunstwerke zeugen von der Legendenbildung zur Vergewisserung sächsischer Identität, die mit der Selbstinszenierung des Monarchen begann, aber auch von Verachtung und Diffamierung. Die Ausstellung im Schloss Moritzburg ist bis Anfang November geöffnet.
Friedrich August wird nach dem überraschenden Tod seines älteren Bruders 1694 Kurfürst von Sachsen. Für die polnische Krone tritt er zum katholischen Glauben über, wird 1697 auch König von Polen. Bis zu seinem Tod regiert er beide Länder und begründet eine Ära. «Er war schon zu Lebzeiten auf Nachruhm bedacht», sagte Kurator Andre Thieme. So liess er sich als sächsischer Herkules feiern, schlüpfte bei Festen in die Gestalt antiker Götter und berühmter Herrscher, stellte sich mit goldener Maske als Sonnengott in die Mitte des Universums.
Die Schau räumt mit Beweisen von Stärke, Attraktivität und Potenz des Monarchen auf, die bis heute präsent sind, und rückt zudem weniger Bekanntes ans Licht. So erinnert ein schwarzer Reiter daran, dass der Glorifizierte lange Zeit als Buhmann galt. «Das 19. Jahrhundert verurteilte ihn sehr stark, das ist weithin unbekannt», sagte Thieme. Der negative Mythos als Verschwender und Sittenstrolch habe sich lange Zeit selbst in Sachsen gehalten.
«Friedrich II. von Preussen als Kriegsheld wurde zum Vorbild und Gradmesser und verdrängte August.» Per Leuchtschrift sind prägnante Zitate vor allem aus der Zeit zusammengestellt, «die hart mit ihm ins Gericht gehen». Das reiche bis zur Einordnung Ende des 20. Jahrhunderts als «grösster Unfall sächsischer Geschichte». Laut Thieme wurde Positives zum Makel: Mätressen zur Sittenlosigkeit, Festkultur zur Verschwendungssucht und militärische Erfolglosigkeit zum Vorwurf.
Wilhelmine von Brandenburg-Bayreuth, Schwester Friedrich des Grossen, berichtete in ihren Memoiren gar von einem inzestuösen Liebesverhältnis Augusts zu seiner eigenen Tochter. «Das ist wirklich reine Erfindung, die sich aber wie ein Lauffeuer durch die gesamte August-Literatur verbreitete», sagte Mitkurator Matthias Donath.
Die Preussin ist auch Urheberin der Mär von 364 Kindern. Unter dem Rock einer Damenfigur in Moritzburg wird sichtbar, dass nur neun nachweisbar sind: ein ehelicher Sohn sowie acht illegitime Kinder, die er alle anerkannte und versorgte. «Wenn es weitere gegeben hätte, wären auch sie in den Genuss gekommen und aktenkundig», ist Donath sicher.
Viele Legenden vor allem um die «schier übermenschliche Stärke» des Herrschers hat der Leipziger Publizist David Fassmann in der ersten ausführlichen August-Biografie 1733 begründet. Der Beiname «der Starke» tauchte erstmals in einem Frauenroman von 1817 auf. «Damals war August schon völlig verrufen als moralische Unperson», sagte Donath. In Schriften wie «Das galante Sachsen» von 1734 aber, einem «Klatschroman par excellence», lebte er als Womanizer weiter, der sich wie kaum ein anderer Herrscher selbst in Lebensgrösse in Wachs abformen und die Figurine mit dem polnischen Krönungsornat im Dresdner Schloss aufstellen liess.
Auch die neun offiziellen Mätressen fehlen nicht in Augusts einstigem Jagdschloss. Ihre Büsten stehen auf Sockeln in einer Kunstinstallation, von blond über brünett bis schwarzhaarig. Deren unterschiedliche Höhe markiert die Dauer der jeweiligen Liaison. Ganz oben ist Anna Constantia von Cosel, Augusts berühmteste Favoritin auf Zeit und «Gemahlin zur Linken».
Im Billardzimmer verdeutlicht ein Panorama, wie der Mythos August Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts wieder emporstieg, befördert von der sächsischen Heimatbewegung. «Er wurde als leuchtendes Gegenbild zu den grossen Tendenzen dieser Zeit Industrialisierung und Militarisierung inszeniert», sagte Thieme. Der Historiker Cornelius Gurlitt habe August «als Verkörperung einer Ära, in der Sachsen eine Glanz- und Blütezeit erlebte», entgegengestellt, sagte Donath. Das habe die Heimatbewegung um 1900 aufgegriffen, erste Produkte wie eine Zigarettenmarke August entstanden. Und Goldene Reiter im Kleinformat wurden hergestellt - nach dem vom Barockfürst im Zuge seiner Selbstinszenierung in Auftrag gegebenen Standbild.