«Alle Wörter müssen benutzt werden»: Autor Rubem Fonseca kannte in seinem Werk keine Grenzen. Sein Ton schockierte so sehr, dass sein Stil als «brutalista» bezeichnet wurde. Grösstes Ansehen genoss er dennoch, oder vielleicht sogar deshalb - bis zu seinem Tod.
Rubem Fonseca (l) und Gabriel García Márquez 2003 bei der Eröffnung der XVII. Internationalen Buchmesse von Guadalajara. Foto: David De La Paz/epa efe/dpa
Rubem Fonseca (l) und Gabriel García Márquez 2003 bei der Eröffnung der XVII. Internationalen Buchmesse von Guadalajara. Foto: David De La Paz/epa efe/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Es ist dem Werk Rubem Fonsecas anzumerken, dass der Autor in den 50er Jahren Jura studiert und als Polizeikommissar am Stadtrand von Rio de Janeiro gearbeitet hat.
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Der brasilianische Schriftsteller beschrieb in seinen Kriminalgeschichten und Romanen die urbane Gewalt und die Ausschweifungen der Aussenseiter in einem Ton, der den ersten Herausgeber, dem er seine Geschichten anbot, schockierte. Doch Fonseca liess sich nie beirren. Am Mittwoch ist er wenige Wochen vor seinem 95. Geburtstag in Rio de Janeiro nach einem Herzinfarkt gestorben.

«Ich habe 30 Bücher geschrieben. Alle voll mit obszönen Wörtern. Wir Schriftsteller können die Worte nicht diskriminieren. Es ergibt keinen Sinn, dass ein Schriftsteller sagt: «Ich kann das nicht schreiben.» Ausser, er schreibt ein Kinderbuch. Alle Wörter müssen benutzt werden», sagte er, als er 2015 den Machado de Assis-Preis der Academia Brasileira de Letras, gegründet nach dem Vorbild der Academie Française, bekam.

So schuf er einen Stil, den der brasilianische Literaturwissenschaftler Alfredo Bosi in Anlehnung an Architektur als «brutalista» bezeichnete: als schroff, kantig und roh. Damit gilt Fonseca, der in den 60er Jahren seine erste Erzählsammlung «Os Prisioneiros» herausbrachte, als Erneuerer der brasilianischen Literatur im 20. Jahrhundert.

Er schrieb Kriminalgeschichten, die er von der reinen Unterhaltung auf ein hohes literarisches Niveau hob, aber auch Romane wie «Agosto» (Mord im August, 1993) über die Verschwörungen nach dem Suizid von Getúlio Vargas und «Vastas emoções e pensamentos imperfeitos» (Grenzenlose Gefühle, unvollendete Gedanken, 1988), mit denen er in Deutschland bekannt wurde.

Mit den üblichen Brasilien-Klischees wie Strand, Fussball oder Samba sind sie nicht behaftet. «Das Feuilleton hat längst wahrgenommen, dass es eine andere Literatur gibt - und die Leser auch», sagte Karin Schweder-Schreiner, eine der wichtigsten Übersetzerinnen brasilianischer Literatur, der Deutschen Presse-Agentur 1994. Beispiel dafür sei eben die «urbane Literatur» des Rubem Fonseca, der, indem er von der Gewalt in den Städten und den menschlichen Dramen erzählt, das Leben in den Metropolen Brasiliens porträtiert.

Die Verbrechen bilden dabei den Hintergrund für ausgefeilte Sozialkritik, die Verbrecher sind unmoralisch, ohne jedes Gefühl von Schuld, ob sie nun reich oder arm sind. Bisweilen ist es schwer zu wissen, wer der Gute und wer der Böse ist.

Von der Kritik gefeiert, erhielt Fonseca für sein Werk den höchsten brasilianischen Literaturpreis Jabuti, den Camões-Preis - so etwas wie den Nobelpreis der portugiesischen Sprache -, sowie den Juan Rulfo-Preis, einen der angesehensten Literatur-Preise Lateinamerikas und der Karibik. Es lag ihm fern, sich in seinem Erfolg zu sonnen. Bekannt für seine Zurückgezogenheit, lehnte er Interview-Anfragen und öffentliche Auftritte regelmässig ab. Sein Erscheinen bei der Verleihung des Machado de Assis-Preises 2015 und des Juan Rulfo-Preises 2003, bei der der kolumbianische Schriftsteller Gabriel García Márquez die Laudatio hielt, waren einige wenige Ausnahmen.

Dennoch war er eine der grossen Persönlichkeiten Rios. Mit Cap und Sonnenbrille verkleidet war Fonseca, der in der Stadt Juiz de Fora im Bundesstaat Minais Gerais geboren wurde und als Kind nach Rio kam, bei Spaziergängen im Viertel Leblon zu sehen. Legendär ist die Anekdote, wie ein TV-Reporter ihn beim Fall der Berliner Mauer als Passanten befragte und nicht herauskam, dass es sich um den berühmten Schriftsteller handelte, der sich mit seinem Namen «José Rubem» vorstellte.

Privat sei «Zé Rubem», wie seine Freunde ihn nannten, eine unterhaltsame und respektvolle Person gewesen, sagte die Schriftstellerin Nélida Piñon dem Sender «GloboNews»: «Der Verlust von Rubem hinterlässt eine grosse Leere in Brasilien. Er brachte im Kern seiner Texte eine grosse Kultur mit (...); manchmal selbst über eine Banalität, wie sie Rio de Janeiro-typisch ist.»

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