Die BBC boykottierte ihre Musik und nach nur einem Album brachen die Sex Pistols auseinander. Die Autobiografie von Pistols-Gitarrist Steve Jones hat Regisseur Danny Boyle nun als Serie verfilmt.
Louis Partridge (l-r) als Sid Vicious, Anson Boon als John Lyndon und Toby Wallace als Steve Jones in einer Szene aus «Pistol».
Louis Partridge (l-r) als Sid Vicious, Anson Boon als John Lyndon und Toby Wallace als Steve Jones in einer Szene aus «Pistol». - Miya Mizuno/FX/Disney+/dpa

Eines ist Steve Jones vor dem Start von «Pistol» wichtig zu betonen gewesen. «Es ist keine Dokumentation», stellt der Gründer und Gitarrist der Sex Pistols im Telefongespräch mit der Deutschen Presse-Agentur in London klar. Die sechsteilige Serie über die wohl berüchtigtste Band der Welt, die ab sofort beim Streamingdienst Disney+ zu sehen ist, basiert nämlich auf Jones' Autobiografie. «Es ist eine Geschichte», so Jones. «Es ist meine Geschichte.»

Die Sex Pistols veröffentlichten nur ein einziges Studioalbum - «Never Mind the Bollocks, Here's The Sex Pistols» - und gelten trotzdem bis heute als eine der einflussreichsten Gruppen der Musikgeschichte. «Pistol» erzählt die turbulente Geschichte vom Aufstieg und Fall der Punkband in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre und darüber hinaus bis zum Drogentod des Bassisten Sid Vicious.

Man kann davon ausgehen, dass sich die Erinnerungen des 67-jährigen Jones nicht vollständig mit denen seiner ehemaligen Bandkollegen, besonders denen von Frontmann John Lydon alias Johnny Rotten, decken. Der Sänger schimpfte, die Serie sei ein «Märchen», das wenig mit der Wahrheit zu tun habe, allerdings ohne sie gesehen zu haben. Jones widerspricht: «Es ist zutreffend, das meiste ist zutreffend.» Die zeitliche Abfolge der Ereignisse habe man geändert und ein wenig Entertainment eingebaut. «Es muss unterhaltsam sein», sagt Jones.

Regisseur Boyle: «Eine wunderbare Gelegenheit»

Regie führte der Brite Danny Boyle, der nach zahlreichen Kinohits wie «Trainspotting», «28 Tage später» und «Slumdog Millionaire» zum Fernsehen zurückkehrt. «Ich liebe Musik. Und alles, was ich bisher gemacht habe, wurde stark von Musik beeinflusst», erzählt Boyle (65), der in den 80er und 90er Jahren BBC-Serien drehte, im dpa-Gespräch. «Einen Moment zu zeigen, in dem Musik die Gesellschaft so dramatisch beeinflusst hat, das war einfach eine wunderbare Gelegenheit.»

Für die Miniserie holte er eine Reihe weitgehend unbekannter, aber hervorragender Darsteller vor die Kamera. Besonders beeindruckend ist Anson Boon. Der 22-Jährige sieht Johnny Rotten zwar nicht sehr ähnlich, beherrscht aber dessen Blick und Mimik perfekt und spricht - vorausgesetzt man schaut die englische Originalfassung - wie der ewig wütende Frontmann, der sich heute längst wieder John Lydon nennt.

Thomas Brodie-Sangster («Das Damengambit») ist herrlich als Sex-Pistols-Manager und selbst ernannter Bandgründer Malcolm McLaren, der die Mitglieder - da sind sich Jones und Lydon ausnahmsweise einig - gegeneinander ausgespielt haben soll. Auch Talulah Riley als Vivienne Westwood und Sydney Chandler als spätere Pretenders-Sängerin Chrissie Hynde überzeugen. Stichwort Entertainment: Jones' Affäre mit Hynde wurde in «Pistol» deutlich «aufgewertet», wie er selbst zugab.

Jones selbst wird vom eher unauffälligen Toby Wallace gespielt, dem er in seinem Haus in Los Angeles eigenhändig das Gitarrespielen beibrachte. «Es ist ein bisschen seltsam zu sehen, wie ich von jemandem gespielt werde», findet Jones, der nicht durchgehend im Produktionsprozess involviert war. «Weil Danny Boyle den Hut auf hatte, war mein Gedanke: Ich lass den Typen einfach machen. Denn er ist ein brillanter Regisseur und er stammt aus der Zeit.»

Meilensteine der Band kombiniert mit Fiktion

Boyle kombiniert bekannte Meilensteine der Sex Pistols, die teils sehr genau nachgestellt wurden, mit den fiktiven oder zumindest dramatisierten Storyelementen und lässt immer wieder Archivmaterial aus dem Grossbritannien der 1970er Jahre einfliessen. Viel wurde in London gedreht. «Es war ziemlich schwer», berichtet Boyle, «weil London sich so sehr verändert hat. Es ist fast beängstigend. Orte zu finden, die wie in den 70ern aussehen, ist fast unmöglich.» Doch ihm ist ein nostalgisches Bild der Stadt gelungen, das authentisch wirkt.

Mitunter driftet «Pistol» zwar leicht ins Kitschige ab und bedient offensichtliche Klischees. Zudem ist die eine oder andere Folge etwas zu zäh und zu lang geraten. Aber insgesamt sind die sechs Folgen durchaus unterhaltsam. Das liegt auch am mitreissenden Soundtrack mit Musik aus der Zeit - nicht nur von den Sex Pistols.

John Lydon hatte vor Gericht versucht zu verhindern, dass die Musik der Band für «Pistol» verwendet wird, scheiterte aber gegen seine Ex-Bandkollegen. Steve Jones warf er vor, nur aufs Geld aus zu sein. Jones bestreitet das gar nicht. «Natürlich will ich Geld verdienen. Jeder will Geld verdienen», sagt er. «Damals haben wir kaum Geld verdient. Wirklich! Also bin ich absolut daran interessiert, Geld zu verdienen und die Marke Sex Pistols am Leben zu halten.»

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