Roman zur Schleyer-Entführung: «44 Tage»

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Deutschland,

Die Terroristen, der Kanzler und der oberste Verfassungsschützer: Stephan R. Meier hat einen Politthriller über den Deutschen Herbst geschrieben.

Der am 5. September 1977 von Terroristen der Roten Armee Fraktion (RAF) entführte damalige Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer. Foto: dpa
Der am 5. September 1977 von Terroristen der Roten Armee Fraktion (RAF) entführte damalige Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer. Foto: dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • In einer Schlüsselszene des Romans schliessen der Chef des Verfassungsschutzes, Roland Manthey, und der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, Helmut Schmidt, einen Pakt: Auf die gefährlichsten Terroristen der Republik soll ein Lauschangriff gestartet werden.

Im Herbst 1977 befindet sich der Staat in seiner grössten Krise. Ein RAF-Kommando hat den Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer gekidnappt, um Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe und Irmgard Möller freizupressen.

Die RAF-Terroristen sitzen in Einzelhaft im Hochsicherheitstrakt von Stuttgart-Stammheim ein. Man vermutet zu Recht, dass sie untereinander Informationen austauschen und auch Kontakt zu Unterstützern draussen haben. Die Verwanzungsaktion ist illegal, aber der Staat sieht sich in Notwehr. «Nur Sie und ich», beschliesst der Kanzler etwas theatralisch den Pakt, während ihn der Rauch seiner Zigarette einnebelt.

Stephan R. Meiers Roman «44 Tage» führt mitten hinein in den Deutschen Herbst, als die Republik vor ihrer grössten Bewährungsprobe stand. Die Fakten sind bekannt: Durch einen kapitalen Polizeifehler misslang es, das Versteck Schleyers frühzeitig ausfindig zu machen. Die Regierung weigerte sich, der Erpressung der Terroristen nachzukommen. Daraufhin erhöhte die RAF den Druck durch eine Flugzeugentführung. In einer spektakulären Aktion befreite die GSG 9 die Gefangenen aus der «Landshut» in Mogadischu. Die RAF reagierte mit der umgehenden Ermordung Schleyers, die Gefangenen von Stammheim richteten sich in ihren Zellen selbst. All dies geschah in 44 Tagen.

Da dieser Ablauf weitgehend bekannt ist, konzentriert sich Meier auf den Thriller hinter den Kulissen. Seine wichtigsten Protagonisten sind weder das Opfer Schleyer noch die Terroristen in Stammheim - sie kommen allenfalls indirekt vor -, sondern die Politiker und Beamten, die das Land damals Tag und Nacht durch den absoluten Ausnahmezustand navigierten. Neben Kanzler Schmidt sind das der Innenminister Werner Maihofer, sein Staatsekretär Walter Buche (in Wahrheit Gerhart Baum), BKA-Chef Horst Herold und der Chef des Verfassungsschutzes Roland Manthey.

Tatsächlich steckt hinter Manthey Richard Meier, der Vater des Autors, der von 1975 bis 1983 Chef des Verfassungsschutzes war. Der Job des Vaters hatte starke Auswirkungen auf das Privatleben der Familie und Konsequenzen für den Sohn, die weit in die Zukunft reichten bis hin zur Verarbeitung in diesem Roman. Auch wenn er einiges fiktionalisiert hat - wichtige Dokumente zum Deutschen Herbst sind immer noch gesperrt - bleibt Stephan Meier meist eng an der Wirklichkeit. Die väterliche Figur des obersten Verfassungsschützers allerdings ist ihm dann doch als genialer Macher überhöht geraten.

Im Kern geht es in diesem Roman aber immer um die gleiche Frage: Bis an welche Grenzen darf ein Rechtsstaat im Ausnahmezustand gehen? Darf er auf blossen Verdacht hin Wohnungen kontrollieren, Telefone überwachen und das Briefgeheimnis aufheben? Darf er in Prozessen die Beweislast umkehren und lebenslange Haft auch ohne Mord verhängen? Darf er die Bevölkerung zum Denunziantentum auffordern? Über diese Punkte reden sich die unter enormen Druck stehenden Verantwortlichen die Köpfe heiss und treffen ihre mühlsteinschweren Entscheidungen.

Natürlich ist es eine sehr spezielle historische Situation, aber die Frage der Einschränkung des Rechtsstaats hat sich auch später immer wieder gestellt: bei islamistischen oder rechtsradikalen Anschlägen und nicht zuletzt in der derzeitigen Pandemie, die eklatante Einschränkungen der Grundrechte zur Folge hat.

Bei alldem ist «44 Tage» kein verkopfter, theorielastiger Roman geworden, sondern ein gut konstruierter, lebendiger und spannungsgeladener Politthriller. Empfehlenswert für all diejenigen, die den Deutschen Herbst selbst nicht miterlebt haben, aber auch für Zeitzeugen, die sich zurückerinnern an jene aufgewühlten, hysterischen Wochen, da ein ganzes Land am Abgrund taumelte.

- Stephan R. Meier: 44 Tage. Und Deutschland wird nie mehr sein, wie es war, Penguin Verlag, München, 464 Seiten, 16,00 Euro, ISBN 978-3-328-10544-2.

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