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Von Schirachs neues Projekt «Feinde» in der ARD

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Deutschland,

Auf dem «Tatort»-Sendeplatz präsentiert die ARD ein TV-Experiment. Ein Kriminalfall wird doppelt gezeigt - aus verschiedenen Perspektiven. Und nicht nur im Ersten kann man dabei zugucken.

Kommissar Peter Nadler (Bjarne Mädel, r) und seine Kollegin Lansky (Katharina Schlothauer) suchen nach der entführten Lisa. Foto: Stephan Rabold/ ARD Degeto/Moovie GmbH/dpa
Kommissar Peter Nadler (Bjarne Mädel, r) und seine Kollegin Lansky (Katharina Schlothauer) suchen nach der entführten Lisa. Foto: Stephan Rabold/ ARD Degeto/Moovie GmbH/dpa - dpa-infocom GmbH

Das Wichtigste in Kürze

  • Vor diesem Drehtag hatte Bjarne Mädel besonderen Respekt: Als er seinem Schauspielkollegen Franz Hartwig einen Fetzen Stoff über das Gesicht legt und immer wieder Wasser aus einem Eimer darauf schüttet.

«Das war schon speziell, weil man Verantwortung für die Gesundheit des Kollegen hat», sagt Mädel. Das gehe nur mit Vertrauen, weil es eine hohe Intensität habe. «Wir hatten ein Geheimzeichen verabredet, bei dem ich abbrechen sollte.»

Bei der letzten Aufnahme habe er aber schon vorher aufgehört, Wasser über Hartwigs Kopf zu giessen. «Beim letzten Take habe ich gemerkt, dass er weniger dagegen ankämpft.» Danach seien beide sehr fertig gewesen, sagt Mädel im Interview der Deutschen Presse-Agentur. «Das war eine schlimme Erfahrung. Obwohl wir ja unterbrechen konnten.»

Doch diese Waterboarding-Szene haben die beiden nicht nur einmal gedreht, sondern gleich doppelt. Denn das Erste zeigt am Sonntagabend (3.1.) zwei Filme über ein und dieselbe Kindesentführung und die Folter am mutmasslichen Verbrecher. «Ferdinand von Schirach: Feinde» gibt es einmal mit dem Titel-Zusatz «Gegen die Zeit». Der wird aus der Perspektive des Chefermittlers Peter Nadler erzählt, den Mädel spielt. Der zweite Film hat den Zusatz «Das Geständnis». Er zeichnet die Perspektive von Verteidiger Konrad Biegler nach, den Klaus Maria Brandauer verkörpert. In ihrem Verlauf muss sich der Zuschauer mit der Frage auseinandersetzen, ob Selbstjustiz und Gewalt im Ausnahmefall probate Mittel sein könnten, um Gutes zu bewirken.

Und damit nicht genug: Erstmals in ihrer Geschichte strahlt die ARD die Filme gleichzeitig im Ersten sowie in allen Dritten Programmen aus. Dabei läuft im Ersten um 20.15 Uhr zunächst «Gegen die Zeit», dann eine 30-minütige Reportage dazu und nach den «Tagesthemen» dann «Das Geständnis». In den Dritten werden die zwei Filme in der anderen Reihenfolge gezeigt. Auch in der ARD-Mediathek gibt es beide Teile sowie eine extra komprimierte Fassung.

Die Sendergruppe erklärt den Aufwand damit, dass Zuschauer die Wahl haben sollen, in welcher Abfolge sie die Fassungen gucken. Dabei kann jeder sich quasi an sein Stammprogramm halten. «Es ist so naheliegend, zwei Filme mit unterschiedlichen Perspektiven zeitgleich zu senden, dass man sich wundert, warum dies nicht schon früher geschehen ist», sagt ARD-Programmdirektor Volker Herres laut Presseheft. Er argumentiert zudem mit der enormen «Reichweite», die Das Erste mit den Dritten Programmen erzielen könne. «Wir versprechen uns davon grösstmögliche Aufmerksamkeit für das zentrale, gesellschaftlich relevante Thema von Recht und Gerechtigkeit.»

«Ich bin natürlich dafür, meinen Film zuerst zu gucken», sagt Mädel. «Da ist man noch wacher. Da bin ich parteiisch.» Letztlich sind aber beide Varianten möglich: Jeweils die ersten Minuten zeigen die Entführung der zwölfjährigen Lisa von Bode. Danach beginnen die jeweiligen Perspektiven. Ermittler Nadler rennt die Zeit davon.

Mit dem regelmässig eingeblendeten Stand der Uhr, schneller gedreht und mit Handkamera näher an den Protagonisten, bekommt der Zuschauer ein Gefühl von dem Druck, der auf den Polizisten lastet. Anwalt Biegler hingegen steht kurz vor der Rente, lässt sich nicht stressen. Die Sequenzen mit ihm sind ruhiger, fast behäbig - wie er selbst.

Die letzte Dreiviertelstunde nimmt in beiden Fällen die Vernehmung Nadlers vor Gericht ein. Eigentlich als Zeuge geladen, wird es für ihn zum Verhör. Denn Anwalt Biegler bringt den Ermittler zunehmend in Bedrängnis. «Weil Sie an seine Gedanken nicht kamen, hielten Sie sich an seinen Körper.» Der Polizist versucht darzulegen, wann, warum und unter welchen Umständen Folter gerechtfertigt sein könnte. Auch diese Szenen haben die Schauspieler doppelt gedreht, einmal aus der Nadler-, einmal aus der Biegler-Sicht. Ob der Zuschauer sich das Ganze ein zweites Mal anschaut, muss er selbst entscheiden.

Aber er wird sich unweigerlich Gedanken machen, ob er Nadlers Handeln nachvollziehen kann. Unter Umständen könnte man das sogar als heldenhaft bewerten, sagt der Verteidiger. Doch es sei schlicht Unrecht. Genau dieser Zwiespalt zwischen Gerechtigkeit und Recht wird nur zum Teil gelöst. «So richtig hat keiner gewonnen am Ende», sagt Darsteller Mädel. «Eigentlich gibt es nur Verlierer.» Er habe selbst keine Kinder. «Aber ich glaube, wenn man Kinder hat, würde man sehr weit gehen, um die zu retten.» Der Fall ist entfernt angelehnt an den echten Mordfall des 2002 getöteten kleinen Jungen Jakob von Metzler.

Es ist nicht das erste TV-Experiment, das die ARD mit Strafverteidiger und Schriftsteller von Schirach wagt. Erst Ende November konnte das Fernsehpublikum anstelle des Ethikrats per Telefon- und Online-Abstimmung nach dem Spielfilm «Gott» entscheiden, ob Mediziner dem Patientenwunsch eines Lebensmüden gerecht werden müssen und ihm ein todbringendes Präparat geben. Das Ganze wurde garniert mit einer Diskussionsrunde «Hart aber fair» bei Frank Plasberg. Eine Kombi, wie 2016 bei «Terror» - ebenfalls auf Basis eines Schirach-Theaterstücks. Damals ging es um die Frage, ob man ein Passagierflugzeug abschiessen darf, um andere Menschen zu retten.

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