«99%-Initiative ist für Schweizer Start-up-Ökosystem sehr schädlich»
Das Wichtigste in Kürze
- Am 26. September wird die Schweiz über die 99%-Initiative der Juso abstimmen.
- Diese wäre schädlich für Start-ups, behauptet das bürgerlich geprägte Nein-Lager.
- Start-up-Gründer Raphael Tobler erklärt die Gründe im Interview mit Nau.ch.
Kapitaleinkommen über 100'000 Franken haben nur die obersten «1 Prozent» der Gesellschaft, behauptet die Juso. Dass dieses steuerbefreit ist, sorgt in ihren Augen für Ungleichheit, die es zu beheben gilt. Deswegen haben die Jungsozialisten die 99%-Initiative vor zwei Jahren eingereicht. In zwei Monaten wird darüber abgestimmt.
So soll Kapitaleinkommen – Einkommen, welches man erhält, «wenn man bereits vorhandenes Vermögen angelegt hat» – stärker besteuert werden. Dieses könnte zum Beispiel aus Dividenden, Zinsen oder Miete stammen. Vorgesehen ist eine 150-prozentig stärkere Besteuerung als «gewöhnliches» Einkommen, das von Lohnarbeit gewonnen wird.
Das Nein-Lager kämpft unter anderem mit dem KMU- und Start-up-Argument gegen die Initiative an. Raphael Tobler, Vorstandsmitglied der Swiss Start-up-Association, hält die 99%-Initiative für ein grosses Problem. Der 34-jährige Winterthurer hat Eduwo gegründet, eine Plattform, die eine Übersicht über Weiterbildungen und Studiengänge anbietet.
Nau.ch: Herr Tobler, Sie sind Präsident der Schweizer Start-up-Assoziation. Hat sich diese zur 99%-Initiative geäussert?
Raphael Tobler: Wir sind grundsätzlich sehr vorsichtig im Umgang mit politischen Themen. Aber mit der 99%-Initiative haben wir uns intensiv beschäftigt und sind zum Schluss gekommen, dass sie für das Schweizer Start-up-Ökosystem sehr schädlich ist.
Nau.ch: Wieso denn? Die Juso behauptet, für die Start-up-Szene sei ihre Initiative nicht negativ.
Raphael Tobler: Doch, das ist sie. Die Kapitaleinkommenssteuer schreckt Investierende ab. Schon heute scheitern im Schnitt acht von zehn Start-ups, und die Investierenden verlieren ihr Investment, wenn es nicht klappt. Wenn doch, dann müssen sie ihren Return erhalten, denn sie tragen letztlich das finanzielle Risiko. Fliesst jedoch der Grossteil des Erlöses an den Staat ab, dann schwindet der Anreiz, unternehmerisch tätig zu sein und in der Folge wird weniger investiert.
Nau.ch: Was bedeutet das für Start-up-Gründer wie Sie?
Raphael Tobler: Die Initiative wäre auch eine massive Einschränkung für die Gründenden. Diese machen den Gründungsschritt nicht primär für das Geld, sie verdienen ja in den ersten paar Jahren kaum einen Lohn und haben oft ihr ganzes Erspartes in ihre Firma gesteckt. Wenn das Start-up aber auf Erfolgskurs ist, verkauft wird oder an die Börse gehen kann, dann erhalten sie ihr Investment zurück. Die meisten reinvestieren es umgehend wieder in neue, vielversprechende Geschäftsideen.
Entscheidend ist: Das investierte Geld, egal ob von den Gründenden oder den Investierenden, wurde ja bereits besteuert, oft mehrmals. Bei Ersteren meistens via Einkommenssteuer, bei Letzteren als Einkommen und als Vermögen.
Nau.ch: Das betrifft aber nur die einzelnen Personen, die Arbeitsplätze und der volkswirtschaftliche Nutzen existieren ja schon. Dann geht es den Start-up-Gründenden doch nur um ihren eigenen Gewinn?
Raphael Tobler: Woher sollen denn die Arbeitsplätze der Zukunft kommen, wenn wegen der Initiative in der Schweiz keine neuen Start-ups mehr gegründet werden? Dann leben wir noch einige Zeit vom früher erarbeiteten Wohlstand. Sobald wir aber im Innovationsbereich den Anschluss an die Weltspitze verloren haben, werden wir das Nachsehen haben.
Die Initiative schadet im Übrigen auch Mitarbeitenden. Es kommt oft vor, dass diese neben einem kleinen Lohn zusätzlich Anteile am Unternehmen erhalten. Wenn es gut läuft, werden die Mitarbeitenden für ihren Einsatz und ihr Risiko mit einem Kapitalgewinn belohnt. Mit der 99%-Initiative wird auch ihnen ein grösserer Anteil davon weggesteuert und der Staat bekommt den Löwenanteil, das ist ungerecht.
Nau.ch: Was ist denn mit dem von der Juso vorgeschlagenen, jährlichen Freibetrag von 100'000 Franken Kapitalgewinn? Ist er für Start-ups wirklich von Bedeutung?
Raphael Tobler: Dieser Freibetrag ist deutlich zu klein, das benötigte Kapital zur Gründung einer AG umfasst ja schon 100'000 Franken. Ein Business Angel, ein Investor, der auch seine Zeit und Kontakte zur Verfügung stellt, investiert in mehrere Start-ups. Wenn er von seinem Kapitaleinkommen in der Schweiz künftig das meiste dem Staat abgeben muss, dann wird es bei uns viel weniger Start-up-Investments geben – es lohnt sich schlicht nicht mehr.
Nau.ch: Und dann?
Raphael Tobler: Start-ups und Investierende wandern ins Ausland ab, nämlich dorthin, wo es die besseren Rahmenbedingungen gibt. Und mit ihnen gehen für die Schweiz neu geschaffene Arbeitsplätze verloren.