AHV-Abstimmungskampagne: Mit Millionen gegen Emotionen
Die Gegner der 13. AHV-Rente treiben einen viel höheren Aufwand als die Befürworter. Weil sie gegen Emotionen ankämpfen? Ein Kommentar.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Gegner der 13. AHV-Rente inserieren viel häufiger als die Befürworter.
- Trotzdem könnte es am 3. März für ein knappes Ja reichen.
- Liegt es an den Emotionen statt Rechnungen? Ein Kommentar.
Der Abstimmungstermin naht, am 3. März entscheidet das Stimmvolk über die Zukunft der AHV: Gibt es eine 13. AHV-Rente oder steigt das Rentenalter? Zeit für eine Bilanz über den intensiv geführten Abstimmungskampf.
Hier fällt auf: Die Gegner der 13. AHV-Rente haben fast fünfmal so viele Inserate geschaltet. Das zeigt die Auswertung des «Année Politique Suisse», aus der ebenfalls hervorgeht: Insgesamt wurden ziemlich genau durchschnittlich viele Inserate gebucht. Aber eben: Vor allem von den Gegnern, die auch ein entsprechend höheres Budget haben.
It’s the emotions, stupid!
Woran liegt das? Immerhin scheinen die Nein-Sager ihr Geld zum Fenster hinauszuwerfen, wo es allerdings der AHV auch nicht gerade viel nützt. Denn trotz Mega-Aufwand liegt die Sensation in der Luft: der historisch erstmalige Sieg an der Urne für eine gewerkschaftliche Initiative. So verkommt der Abstimmungskampf zur Medienförderung auf Umwegen, wofür sich die Kollegen der Print-Redaktionen recht herzlich bedanken.
Zwar kommt ein Argument gemäss Umfragen besonders gut an, dasjenige der fraglichen Finanzierung. Aber es scheint einigermassen chancenlos gegen die traurig in die Kamera blickenden Rentner, die mit ihrer Mini-AHV nur knapp über die Runden kommen. «Es wäre ein willkommener Zustupf», und wer würde ihnen den nicht gönnen?
Entscheiden hier Emotionen über Millionen an Kampagnenfranken, Empathie über sachliche Fakten? Im angelsächsischen Sprachraum nennt man das «Truthiness», im Sinne einer Schein-Wahrheit. Man glaubt, dass etwas korrekt ist, aufgrund von Intuition, aber ohne Beweise, Logik oder Fakten: das Bauchgefühl halt.
Folge deinem Herzen, folge deinem Bauchgefühl
Das ist nicht grundsätzlich falsch, denn der logischste Entscheid nützt nichts, wenn die Beteiligten danach trotzdem nicht glücklich sind. Bestes Beispiel dafür: Der Zufallsmodus von iTunes (heute Apple Music). Denn der Zufall will es, dass manchmal zwei, drei Stücke desselben Künstlers abgespielt werden. Das machte die User aber nicht happy und man witterte eine Ed-Sheeran-Verschwörung – das kann ja kein Zufall sein!
Die Lösung war gemäss dem legendären Steve Jobs dann: «Wir machen es weniger zufällig, damit es sich zufälliger anfühlt.» Unlogisch, aber selig machend. Mit dem Unterschied, dass ein getunter iTunes-Algorithmus nichts kostet, die AHV aber schon.
Wer zuletzt lacht, wird Rentner
Ironischerweise bedienen sich ausgerechnet die Befürworter der anderen AHV-Vorlage, der Renteninitiative, in ihrem Abstimmungskampf ebenfalls der Gefühlsduselei. Mit dem Unterschied, dass sie zwar ebenfalls viel weniger Inserate gebucht haben, aber auch viel weniger Erfolg beim Stimmvolk verzeichnen.
Im Kampagnenvideo ist ein herziger Bub zu sehen, der Tiefseetaucher werden will «und dann Rentner». Oder ein herziges Mädchen, das Astronautin werden will «und dann Rentnerin». Sie spielt mit einem «schlanken, einsitzigen Raumschiff für lustiges Weltraumspiel» von Lego. Der Bub schützt sich vorbildlich mit Taucherbrille gegen das Badewannenseifenwasser und mit Langarmshirt gegen die Badewannen-UV-Strahlen.
Jöö, das wollen wir unbedingt unterstützen und stimmen deshalb … «Ja» zur Renteninitiative?
So sehr man den Kindern ihre Träume gönnen mag: Sie werden, ob mit oder ohne Renteninitiative, kaum in Erfüllung gehen. Seit 1848 hatte die Schweiz gerade mal zwei Tiefseetaucher und einen Astronauten. Und ich bin ziemlich sicher, der Bub erfüllt nicht mal die Grundvoraussetzungen: einen Nachnamen beginnend mit «P» und endend mit «iccard».
Dass das Mädchen Claude Nicollier nacheifern möchte, wollen wir gerne glauben. Dieser hatte 1999 seinen letzten Weltraumflug – im Alter von 56 Jahren. Das Stimmvolk lässt sich eben weder mit Millionen noch mit unechten Emotionen kaufen.