AHV – Polit-Analyst: «Abstimmung könnte für ungültig erklärt werden»
Das Wichtigste in Kürze
- Die Ausgaben für die AHV fallen deutlich tiefer aus als bisher angenommen.
- Laut dem Bund hat man die Kosten für 2033 um rund sechs Prozent nach unten korrigiert.
- Die Forderung nach einer Wiederholung der Abstimmung zum Frauen-Rentenalter wird laut.
- Ein Polit-Analyst sagt sogar: «Die Abstimmung könnte für ungültig erklärt werden.»
Der Bund hat sich bei der AHV massiv verrechnet. Wie heute Dienstag bekannt wurde, fallen die Ausgaben für die AHV deutlich tiefer aus als bisher angenommen.
Laut dem Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) hat man die Kosten für 2033 um rund sechs Prozent nach unten korrigiert. In absoluten Zahlen: vier Milliarden Franken weniger Ausgaben. Grund dafür sind zwei fehlerhafte Formeln im Berechnungsprogramm.
Der Rechenfehler sorgt also für ein politisches Beben im Bundeshaus.
Die FDP nutzt die Gelegenheit, um gegen die fürs AHV-Dossier zuständige Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider zu schiessen. Die SP-Frauen fordern gar eine Wiederholung der Abstimmung für eine Erhöhung des Frauen-Rentenalters 2022 von 64 auf 65 Jahre.
Denn eines der zentralen Argumente für eine Annahme damals: die Erhöhung der AHV-Einnahmen wegen dem vorausgesagten Umlagedefizit der Alters- und Hinterlassenen-Vorsorge.
Gegenüber Nau.ch schätzt Polit-Analyst Mark Balsiger die politischen Auswirkungen des Berechnungsfehlers bei den Ausgabenprognosen ein.
«Peinlich», was in «diesem Bundesamt passierte»
Nau.ch: Die AHV braucht jährlich vier Milliarden (!) weniger als bisher berechnet. Hat sie also kein Finanzierungs-Problem mehr?
Mark Balsiger: Wegen des gravierenden Rechnungsfehlers ist der Druck bei der AHV vorübergehend weg. Immer mehr Menschen gehen in Rente und weniger treten in den Arbeitsmarkt ein. Darum braucht es in ein paar Jahren eine Reform, um die AHV zu finanzieren.
Was in diesem Bundesamt passierte, ist nicht bloss peinlich. Es zerstört auch Vertrauen in die Institutionen. Aus diesem Grund ist es richtig, dass eine externe Stelle diesen Fall untersuchen wird.
«AHV wichtigstes Sozialwerk der Schweiz»
Nau.ch: Was bedeutet das für die Finanzierung der 13. AHV-Rente? Müssen die vom Bundesrat vorgeschlagenen Massnahmen (Lohnbeiträge um 0,8 Prozent erhöhen oder Kombi aus Lohnbeiträgen und höherer Mehrwertsteuer) somit überarbeitet werden?
Sollte die Abstimmung zur Erhöhung des Frauen-Rentenalters wiederholt werden?
Mark Balsiger: Der politische Druck ist hoch, nochmals ganz von vorne zu beginnen. Kluge Köpfe aus den unterschiedlichen Lagern sollten den Kampagnenmodus hinter sich lassen. Sie sollten eine Lösung anstreben, die das Vertrauen der Bevölkerung zurückbringt.
Die AHV ist das wichtigste Sozialwerk der Schweiz. Rotgrün verdächtigt die bürgerlichen Parteien, die AHV stetig schwächen und die private Vorsorge stärken zu wollen.
Den Bürgerlichen ist es ein Dorn im Auge, dass Rotgrün die AHV ausbauen möchte. Das geschah jüngst mit dem Ja zur 13. AHV-Rente.
«Fehler passierten während der Ära von Alain Berset»
Nau.ch: Die FDP schiesst gegen Baume-Schneider, sagt, bei ihrem Innen-Departement herrsche «Chaos». Was bedeutet dieser gravierende Formel-Fehler in der Berechnung für die Bundesrätin?
Mark Balsiger: Sie steht im Scheinwerferlicht, obwohl die Fehler ja während der Ära von Alain Berset passierten. Elisabeth Baume-Schneider hat die Chance, sich mit der Abwicklung dieses Falls zu profilieren – oder aber sie erleidet einen Imageschaden.
«Abstimmung über Frauen-Rentenalter könnte für ungültig erklärt werden»
Nau.ch: Die SP-Frauen fordern eine Wiederholung der Abstimmung zum Frauen-Rentenalter. Wie hoch stehen diese Chancen – und was für ein Resultat wäre realistisch?
Mark Balsiger: Die Berechnungsfehler schlichen sich laut den BSV-Leuten ja bereits 2019 ein. Der Fall ist knifflig, zumal die Volksabstimmung über die AHV-Finanzierung im Herbst 2022 sehr knapp durchgekommen war. Die Differenz beträgt gerade einmal 31'195 Stimmen.
Ich halte es für möglich, dass das Bundesgericht eine Beschwerde gutheissen würde und diese Abstimmung für ungültig erklärt. Oder aber der Bundesrat annulliert sie aus politischen Gründen.