Alain Berset hat «die richtigen Gene» - sagt Psychiater im Buch
Alain Berset habe ein eigenes System entwickelt und so dem Druck während der Pandemie standgehalten, berichtet Psychiater Gregor Hasler in einem neuen Buch.
Das Wichtigste in Kürze
- Das Buch «Der Berset-Code» enthält die Gespräche zwischen Alain Berset und Gregor Hasler.
- Letzterer ist Neurologe und Psychiater und hat Berset während der Pandemie gecoacht.
- Trotz Unsicherheiten Entscheidungen treffen: Dazu hatte Berset ein eigenes System.
Alt Bundesrat und Neu-Generalsekretär des Europarats Alain Berset ist wieder in der Schweiz: Er nimmt an einer Gesprächsrunde im Museum für Gestaltung Zürich teil. Ja, dafür hat er Zeit. Thema ist sozusagen er selbst: «Der Berset-Code», ein Buch über «Die Resilienz-Strategien von Alain Berset».
Darin erfährt man, warum Berset jetzt auch noch Zeit für ein Buch hat: Weil er mit Stress, Zeitdruck, körperlichen und psychischen Ressourcen gut umgehen kann. So gut, dass der in der Pandemie als Coach beigezogene Psychiater und Neurologe, Professor Gregor Hasler, sich im Interview mit Nau.ch sehr beeindruckt zeigt.
Hasler hat die Gespräche mit Alain Berset in «Der Berset-Code» zusammengefasst und zeigt auf: So ist es Berset gelungen, mit dem psychischen Druck umzugehen, selbst als ihm und seiner Familie mit dem Tod gedroht wurde. «Es war sehr brutal», gesteht Berset selbst im Buch ein: Zwischenzeitlich sei derart viel Druck von allen Seiten zusammengekommen, dass er den Eindruck hatte, man wolle ich fertigmachen.
Nau.ch: Das Buch heisst «Der Berset-Code». Der damalige Gesundheitsminister hatte also sein ganz eigenes Rezept, wie er an die psychischen Herausforderungen der Pandemie-Bewältigung heranging?
Prof. Gregor Hasler: Wie man trotz Unsicherheiten Entscheidungen trifft, dazu hat er ein eigenes System entwickelt: Er sieht sehr viel als Film, er hat Optimismus, er braucht sein Team als Resonanzraum für seine Emotionen. Dazu kommt das «Zwiebelmodell»: Je nach Setting tritt er mit Krawatte auf oder ganz locker. Da sind viele Dinge dabei, die ich sonst so nicht gelesen habe.
Nau.ch: In Medienkonferenzen, bei informellen Treffen oder anderen, alltäglichen Situationen konnte man schon vor der Pandemie sehen: Alain Berset scheint eine gute Work-Life-Balance zu haben. Andere Bundesräte schieben 16-Stunden-Tage, er nahm sich offenbar auch Zeit, die Kinder in die Schule zu bringen. Brachte er schon Voraussetzungen mit, um mit dem Stress und dem psychischen Druck in der Pandemie mit Resilienz zu begegnen?
Prof. Gregor Hasler: Er hat sicher «die richtigen Gene». Als Bundesrat muss man immer damit rechnen, dass es hektisch wird, aber ihm sagt das auch zu: Da war er in seinem Element. Er war zu Beginn der Pandemie schon acht Jahre Bundesrat. Das heisst, er war bereits ein Routinier, hatte zuvor schon eine Lernkurve und die richtigen Leute um sich.
Es war natürlich nicht so, dass er im Voraus wusste, dass sein Ansatz sich eignet, aber er hat das mal ausprobiert und es hat geklappt. Was nicht heisst, dass es nicht streng war – keine Wochenenden, kaum noch Zeit für Familie und Freunde. Vier Jahre lang hält man das nicht aus.
Nau.ch: Alain Berset beschreibt das ja auch im Buch: 18 Monate lang nicht ohne Leibwächter aus dem Haus, ausser einmal, fürs Weihnachts-Shopping, aber auch dann mit dem Sicherheitsdienst abgesprochen. Unterwegs immer unkenntlich gemacht mit Maske und hochgezogener Kapuze. Aber er hat das immerhin 18 Monate aushalten können, ohne dass man nach aussen gross etwas gemerkt hätte. Was machte oder macht Alain Berset denn besser als andere Bundesräte?
Prof. Gregor Hasler: Es gibt natürlich schon Bundesräte, die es gerne ruhig haben und Stabilität bevorzugen. Sicher geholfen hat ihm sein Team. Berset machte nicht auf Schönwetter mit Gschpänli aus dem eigenen Kanton und der eigenen Partei, sondern hat immer die besten ausgewählt. So hat es sich ergeben, dass es kaum Romands in seinem Umfeld gab, sondern fast nur Deutschschweizer.
Geholfen hat ihm sicher auch, dass er Spitzensportler war: Er weiss, was ihm Energie gibt und wie er diese einteilen kann – der Sportsgeist hat ihn geprägt.
Nau.ch: Sie beschreiben im Buch auch, dass er Fallzahlen «physisch spüren» konnte. Alain Berset erklärt dies damit, dass sich alle Gedanken nur noch um die Pandemie drehten. Bis auch er mal keine Kraft mehr hatte: «Ich legte mich dann einfach hin und machte eine Weile lang nichts.» Aber dann musste er wieder entscheiden, in einer für alle Beteiligten neuen Situation, musste sich auf Prognosen stützen …
Prof. Gregor Hasler: Ein wichtiger Teil war die Wissenschaft: Er hat einen Doktortitel und konnte auf Augenhöhe diskutieren. Zuerst waren das nur Virologen, dann hat er das ausgedehnt auf Ökonomen, Sozialwissenschafter. Und dies, obwohl es ja viel Skepsis gibt gegenüber einer «Expertenregierung». Er hatte sehr klare Konzepte, wie der Austausch mit der Wissenschaft funktionieren sollte.
Nau.ch: Warum blieb Alain Berset auch in der Pandemiezeit trotzdem beliebt? Er galt schon vor der Pandemie als guter Kommunikator. Aber dann musste er Entscheide treffen, bei denen von Anfang an klar war: Egal wie sie ausfallen, es wird einen Grossteil der Bevölkerung ärgern. Es gab keinen Spielraum für Kompromisse.
Prof. Gregor Hasler: In der Kommunikation hat er uns eher viel zugemutet. Er hat aber auch als einziger Gesundheitsminister eingestanden, dass er nicht alles weiss. Er hat Transparenz hochgehalten und hat uns immer wieder auch wissenschaftliche Befunde zugemutet.
Er hat so eine seltsame Mischung vorgelebt aus Perfektion und zeigen, dass man auch nicht perfekt ist. Er versucht, immer wieder Ausgleich zu schaffen. Wobei das manchen etwas sauer aufgestossen ist, dass er gezeigt hat: Ich bin auch Privatperson und muss als solche nicht perfekt sein.
Dass er immer so beliebt war, das erstaunt mich hingegen auch. Gesundheitsminister sind generell nicht die beliebtesten. Er redet auch nicht gerade volksnah. Das kann ich auch meiner Warte auch nicht erklären.
Nau.ch: Was macht den «Berset-Code» im Endeffekt aus? Alain Berset beschreibt sehr viele Elemente: Von der Ernährung mit Rohkost mit eigenem Salatrezept über die Pünktlichkeit bis zur Mehrsprachigkeit als mentale Ressource. Sie erwähnen den internen «Locus of control» – die Überzeugung, dass man Ereignisse durch eigenes Verhalten beeinflussen kann.
Prof. Gregor Hasler: Er ist schon sehr fokussiert darauf, wo man etwas tun kann, und macht das dann auch. Er verglich das mit einem Fussballspiel: Es könne doch nicht sein, dass man den Ball einfach laufen lasse. Sondern man müsse immer überlegen: Wie kann ich Einfluss nehmen.
Als Politiker das Soziale. Er tritt gerne mit den Leuten in Kontakt, obwohl er nicht so das «Social Animal» ist – er geht ja auch gerne alleine in die Ferien. Aber er ruft dann den Gastrosuisse-Präsidenten an, wenn der ein Problem mit Corona-Massnahmen hat.
Nau.ch: Wie war es für Sie, in diese Prozesse mit einbezogen zu werden?
Prof. Gregor Hasler: Ich kann nicht verleugnen: Das hat natürlich schon geschmeichelt. Andererseits: Man wusste nicht, wie lange die Pandemie dauern würde und es war eine sehr belastende Situation. Aber irgendwie auch cool, das mitzuerleben, das war schon sehr bereichernd.
Die Innenperspektive eines Ministers bekommt man sonst nicht so mit. Das sehr spezifisch Bundesrätliche und das Krisenmanagement spricht vielleicht nicht die breite Masse an – aber so können doch viele Leute etwas mitnehmen.