Alain Berset spricht erstmals über psychischen Druck in Pandemie
Alain Berset gibt in einem Podiumsgespräch zu: Es gebe ständig Dinge, die er heute anders entscheiden würde als während der Pandemie.
Das Wichtigste in Kürze
- Alain Berset bricht sein Schweigen und redet offen über den Druck in der Pandemie.
- «Es gab Phasen, wo es mehr ein Überleben war als etwas anderes», gibt er zu.
- Es sei nicht möglich, einzelne Entscheide als «richtig» oder «falsch» zu bezeichnen.
Während der Pandemie war er in der Schweiz Dreh- und Angelpunkt: Alain Berset sorgte als Gesundheitsminister bei der Bevölkerung regelmässig für Zähneknirschen bis hin zu offenen Feindseligkeiten. Wie er mit dem Druck in dieser Zeit umging: Darüber hat er nun erstmals gesprochen, im Rahmen der Vernissage des Buchs «Der Berset-Code».
Im Rahmen eines Podium-Gesprächs mit dem Autor des Buchs, dem Psychiater Gregor Hasler, gab Berset Einblick in die Pandemie-Zeit. «Es gab Phasen, wo es mehr ein Überleben war als etwas anderes», gestand er ein.
«Sehr ermüdend»: ständig ändernde Unsicherheiten
Prägend in Erinnerung geblieben sind Alain Berset die Unklarheiten, die Unsicherheiten, die man immer wieder gespürt habe. «Das wissen wir alle: Es ist viel schwieriger und es ist mühsam, sich im ständig verändernden Umfeld zu bewegen.»
Alle sei viel einfacher, wenn es klar und stabil sei. Sonst brauche es viel mehr Energie, um etwas zu bewegen: «Es war sehr ermüdend.»
Bei Situationen wie in einer Pandemie sei es unmöglich zu wissen, was als Nächstes passiere. Sich vorbereiten könne man nicht, nur handeln: «Einfach etwas tun mit dieser Situation. Man muss wie sich selbst fast entdecken, wenn wieder etwas passiert.»
Alain Berset: Ständig im Nachhinein schlauer
Auf die Frage, ob es Entscheidungen gebe, die er heute anders gemacht hätte, antwortet Alain Berset: «Ständig!» Das sei eben das Wesen einer Krise: Man wisse im Moment der Entscheidung nicht, was die beste Lösung sei.
Deshalb sei es wichtig, in Bewegung zu sein. Es gehe darum, jeweils das Beste zu machen, was man sich vorstellen könne. Aber die Frage stelle sich nicht, ob man etwas einmal für immer richtig oder falsch gemacht habe. «Sondern es ist ständig anzupassen, ständig zu ändern.»
Alain Berset beschreibt den Prozess so: Zuerst etwas entscheiden und dann immer korrigieren und versuchen, den Weg zu beschreiben. «Nicht einen Punkt, aber einen Weg suchen. Das bedeutet, ein Entscheid ist nie ganz richtig oder ganz falsch.»
Es sei vielmehr eine ganze Reihe von Entscheiden, bei denen man am Ende sagen könne: Das war gut, weniger gut oder schlecht. Man müsse die vielen grossen und kleinen Entscheide als Gesamtbild sehen.
Team Berset
Mehrere Male betont Alain Berset, dass er auch während der Pandemie mit all diesen Entscheiden nicht alleine gelassen wurde. «Ich hatte das Glück, ein grosses Team mit mir zu haben. Wir haben auch mit dem Gesamtbundesrat gearbeitet, das darf man nie vergessen.» Es sei vor allem auch darum gegangen, eine hohe Qualität der Teamarbeit zu haben.
Aber eben: Manchmal war der Druck sehr gross. Die Erwartungen, Kritik, Schicksale von ganzen Bevölkerungsgruppen, dazu die eigenen, limitierten physischen Ressourcen. Der Psychiater Gregor Hasler sagt im Nau.ch-Interview allerdings auch, Alain Berset sei in seinem Element, wenn es hektisch werde.
Alain Berset selbst betont diesbezüglich: «Wir engagieren uns in der Politik nicht, um nur im Schönwetter-Umfeld arbeiten zu können.» Politiker müssten auch da sein, wenn es schlimmer oder schwieriger werde. «Aber ohne genau zu wissen, ob man das wirklich kann oder nicht.»