Alles hinter Cryptoleaks und der Crypto AG
Wie die CIA und der BND jahrzehntelang die halbe Welt abhörten mit Hilfe einer Schweizer Firma – und mit Mitwissen des Bundesrats?
Das Wichtigste in Kürze
- Die Zuger Firma Crypto AG gehörte der CIA und dem Bundesnachrichtendienst BND.
- Darum waren in den Chiffriergeräten der Crypto AG Hintertüren eingebaut.
- Es wird vermutet, dass der Bundesrat wusste, dass die Crypto-Kunden belauscht wurden.
Gründung der Crypto AG
Der schwedische Ingenieur und Kryptograph Boris Hagelin gründete 1952 die Crypto AG in Steinhausen am Zugersee. Hagelin hatte schon seit den 20-er Jahren in Stockholm Chiffriermaschinen gebaut. Nach dem Zweiten Weltkrieg galten diese aber in Schweden als Kriegsgerät und konnten nicht exportiert werden. Aus der Schweiz heraus aber belieferte Hagelin fortan Private, Militärs und Regierungen.
Die Geräte waren gut – zu gut aus Sichtweise des US-Geheimdienstes CIA. Die Amerikaner waren selbst gute Kunden, und befürchteten, dass sie die Codes ihrer Gegner nie mehr knacken können würden. Boris Hagelin sollte darum «gedreht» werden.
Die Chiffriergeräte sollten für die CIA weiterhin knackbar bleiben, mittels Einbau von Hintertürchen. Im Gegenzug würde die CIA helfen, dass die Crypto AG bei Regierungen weltweit zum Zug kommen würde – und nicht etwa ein Konkurrent.
Deal mit der CIA
Hagelin war für solche Ideen sehr zugänglich. Er traf sich mit dem NSA-Kryptologen William F. Friedman, den er bereits kannte und schätzte. Nach einem ursprünglich per Handschlag besiegelten Deal folgte 1960 eine eigentliche Lizenzierung durch die CIA.
Hinweise darauf kannte man spätestens 2015, als die NSA die «Friedman Papers» veröffentlichte. In diesen ursprünglich streng geheimen Aufzeichnungen des «Gottvaters der US-amerikanischen Kryptologie» geht es sehr oft um die Crypto AG. Die Dokumente zeigen auf, das die Zusammenarbeit mit den USA gut und das Vertrauen gross waren.
Die halbe Welt «verschlüsselt» mit Crypto AG
Die Zusammenarbeit von Crypto AG und den US-Geheimdiensten war sehr erfolgreich. 130 verschiedene Länder wurden mit Crypto-Geräten beliefert. Zwischenzeitlich liefen darüber 40 Prozent der diplomatischen Depeschen.
Aber auch die nachrichtendienstliche Ausbeute liess sich sehen. Die CIA und NSA konnten sich bei vielen entscheidenden Unterhaltungen einklinken. Kein Wunder: In den 80-erJahren hiessen die Top-Kunden unter anderem Saudi-Arabien, Iran, Irak oder Libyen. Aber auch bei befreundeten Staaten wurde teilweise mitgehört.
Die Deutschen treten auf den Plan
Schon viel früher zeigten andere westliche Geheimdienste Interesse an Crypto AG. Sie hatten entweder selbst herausgefunden, dass die Codes löchrig wie Schweizer Käse waren. Oder sie hatten es von den Amerikanern selbst erfahren, zum Beispiel dann, wenn ihnen ein Tipp gesteckt wurde aus einer Crypto-Quelle.
1967 machten die Franzosen Boris Hagelin ein Kaufangebot, zusammen mit den Deutschen. Dieser alarmierte stattdessen die CIA. Ein paar Jahre später waren die Deutschen aber erfolgreich: Mit den USA, aber ohne die Franzosen. Crypto AG wurde gekauft, die Besitzverhältnisse wurden via eine Kanzlei in Liechtenstein verschleiert.
Husarenstück als Gratwenderung
Die CIA selbst bezeichnet den Deal mit Crypto AG als «Coup des Jahrhunderts». Regierungen zahlten auch noch teures Geld dafür, dass sie abgehört werden konnten. Das jahrzehntelange Funktionieren der Masche stand immer wieder auf der Kippe.
So feuerte 1977 der damalige Crypto-CEO Heinz Wagner den Ingenieur Peter Frutiger vom einen Tag auf den anderen. Frutiger hatte sich auf eigene Faust den Beschwerden Syriens über dessen Crypto-Geräte angenommen. Er stellte fest, dass die Verschlüsselung tatsächlich schwach war und «reparierte» die Geräte, sehr zum Ärger der NSA.
1986 verplapperte sich US-Präsident Ronald Reagan, als er live am TV erzählte, man habe gesicherte Informationen aus Libyen. Diese waren aber Crypto-verschlüsselt – die USA mussten also die angeblich sichere Kommunikation entschlüsseln können. Auch Iran musste 1991 schlussfolgern, dass die USA ihre diplomatische Kommunikation mitlesen konnte.
Gefoltert und gefeuert: Der Fall Hans Bühler
Nur mit viel PR schaffte es Crypto AG 1993, die Enttarnung abzuwenden. Der Crypto-Mitarbeiter Hans Bühler war neun Monate lang in einem iranischen Foltergefängnis eingekerkert gewesen. Weil er selbst nichts vom CIA-Deal wusste, konnte er aber nichts verraten und wurde gegen 1,5 Millionen Dollar «Kaution» freigelassen.
Weil er prompt wegen «Rufschädigung» entlassen wurde, verbreitete er in zahlreichen Medien seine Vermutung, fremde Geheimdienste stünden hinter Crypto AG. Seine Geschichte wurde in Buchform veröffentlicht, aber Nachforschungen verliefen im Sand. In Liechtenstein war nicht in Erfahrung zu bringen, wer die wahren Besitzer der Crypto AG waren. Umstritten ist, ob die Bundespolizei absichtlich Verfahren verschleppte und ob der damalige Verteidigungsminister Kaspar Villiger Mitwisser war.
Wir hätten es längst wissen müssen
Doch das war nur der wohl spektakulärste Hinweis darauf, dass irgendetwas faul im Staate Schweiz sein musste. Immer wieder stutzten bei der Crypto AG die eigenen Mitarbeiter, weil ihre eigenen Verbesserungsvorschläge abgeblockt wurden.
Schon 1978 erschrak die NSA: Die neue Angstellte Mengia Caflisch sei wohl «zu gescheit, um ahnungslos zu bleiben». In der Tat verbesserte sie den Algorithmus und liess diesen in die Produktion einfliessen. Die Crypto-Chefs bemerkten dies erst, als bereits 50 Maschinen produziert waren.
1982 erschien das Enthüllungs-Buch «The Puzzle Palace», welches auch die Verbindung von NSA und Crypto AG thematisierte. Das 2010 erschienene Buch «Coded Messages» beschrieb detailliert die Geschichte der Crypto AG. Auch Jürg Spörndli kommt darin unter anderem zu Wort: Er hatte damals mit Mengia Caflisch zusammengearbeitet und nachgewiesen, dass der Crypto-Code knackbar war.
Die #Cryptoleaks-Affäre
Den endgültigen Nachweis und einige brisante Neuigkeiten lieferte schliesslich der sogenannte Minerva-Bericht. Dieses CIA-interne Papier über die Crypto AG – CIA-Codename «Minerva» – wurde 2019 dem ZDF-Journalisten Peter F. Müller zugespielt. Dieser teilte es mit der «Washington Post» und der «SRF Rundschau».
Darin werden alle bereits bekannten, angedeuteten und vermuteten Sachverhalte bestätigt. Für die Schweiz problematisch sind Passagen, die die hiesigen Behörden in schlechtem Licht erscheinen lassen. So sollen Bundesräte und Geheimdienstspitzen Mitwisser gewesen sein. Fremde Geheimdienste auf eigenen Territorium die halbe Welt betrügen zu lassen – das verträgt sich schlecht mit der Neutralität.