Alt Bundesrätin Dreifuss ist über «Bastelarbeit» am KVG enttäuscht
Ruth Dreifuss ist enttäuscht über die Entwicklung des KVG-Gesetzes. Es würden zu viele Leute in unterschiedliche Richtungen ziehen.
Das Wichtigste in Kürze
- Ruth Dreifuss ist enttäuscht über das KVG-Gesetz, es werden seit 30 Jahren gebastelt.
- Es sei von Anfang an klar gewesen, dass das Gesetz Anpassungen brauche.
- Die SP-Politikerin führte das Bundesgesetz als Innenministerin 1994 ein.
Die ehemalige SP-Bundesrätin Ruth Dreifuss hat sich über die Entwicklung des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (KVG) enttäuscht gezeigt. «Seit 30 Jahren wird daran gebastelt», sagte sie der Westschweizer Zeitung «Le Matin Dimanche».
Das Bundesgesetz, welches sie 1994 als Innenministerin eingeführt hatte, beschrieb sie metaphorisch als Flugzeug. «Es gibt keinen Piloten im Flugzeug. Oder besser gesagt, es gibt zu viele, und alle ziehen in verschiedene Richtungen», sagte sie im am Sonntag publizierten Interview. Das Flugzeug werde zwar nicht abstürzen. Die Passagiere würden aber durchgeschüttelt.
Von Beginn an sei es klar gewesen, dass das Gesetz Anpassungen benötige, sagte Dreifuss. Zu Revisionen sei es aber nie gekommen.
Die ehemalige Bundesrätin verwies auf ein weiteres gebrochenes Versprechen: Die finanziellen Beiträge sollten sich nach der Entwicklung der Gesundheitskosten richten und die Kosten unter Bund und Kantonen aufgeteilt werden. «Der Bund hält sein Versprechen, aber viele Kantone haben sich nicht daran gehalten», sagte Dreifuss.
Das zeigte auch eine jüngste Auswertung. 21 Kantone hätten Versicherten 2022 mehr Mittel zur Verfügung stellen können, wie Tamedia letzten Dienstag anhand einer Analyse des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes schrieb.
Ruth Dreifuss kritisch, aber auch optimistisch
Trotz der Kritik zeigte sich Dreifuss optimistisch. Die Krise der KVG könne auch eine Chance darstellen, sagte sie. Schliesslich sei das System 1994 ebenfalls in einer Zeit grosser Schwierigkeiten eingeführt worden.
«Ich bin keineswegs verzweifelt: Einige der Vorschläge, die jetzt gemacht werden, sind durchaus sinnvoll», sagte sie. Eine öffentliche Krankenkasse, wie sie die SP anstrebt, kann ihrer Meinung nach eine bessere Betreuung der Menschen und mehr Solidarität bringen – wenn sie alle einbezieht.
Die Anmerkung der SVP-Politikerin Natalie Rickli, das Versicherungsobligatorium abzuschaffen, lehnte die Sozialdemokratin hingegen ab. Er sei unter anderem ein Angriff auf das Solidaritätsprinzip. «Man muss sich daran erinnern, dass es vor dem KVG keine Solidarität zwischen Kranken und Gesunden oder zwischen Jung und Alt gab», sagte sie.