«Arena»: «Will keine Zustände wie in Deutschland»
Die Pflegeinitiative hat auch dank der Corona-Krise gute Chancen, angenommen zu werden. In der «Arena» streiten Ja- und Nein-Lager des Anliegens erbittert.
Das Wichtigste in Kürze
- Am 28. November stimmt die Schweiz über die Pflegeinitiative ab.
- Laut den Gegnern reicht der indirekte Gegenvorschlag mit der Ausbildungsoffensive.
- Die Befürworter wollen bei den Arbeitsbedingungen ansetzen.
Die Pflegeinitiative kann ironischerweise wohl stark von der Corona-Pandemie profitieren. Der Personalmangel, die Unterbezahlung, die Erschöpfung, alle Anliegen der Pflegefachkräfte sind in den Fokus gerückt worden. Eine erste Umfrage zeigt ungewohnt hohe Ja-Werte für eine Volksinitiative.
In der «Arena» erinnert der diplomierte Pflegefachmann Patrick Hässig, dass die Situation schon vor der Pandemie dramatisch gewesen sei. «An fast jedem freien Tag werde ich gefragt, ob ich nicht doch ins Spital kommen könne», sagt er. Und dies tue er dann auch, es gehe ja um Menschen.
Es gebe aber auch andere Berufsgruppen, die gleich viel Stress Druck haben und gleich viel leisten, entgegnet SVP-Nationalrätin Martina Bircher. SP-Ratskollegin Flavia Wasserfallen präsentiert die Zahlen: 11'700 Pflegestellen seien unbesetzt, in den nächsten zehn Jahren würden 65'000 Pflegende fehlen, 40 Prozent würden frühzeitig aussteigen. «Um die Qualität aufrechtzuerhalten, ist die Initiative dringend notwendig.»
Dass der Personalmangel bekämpft werden muss, das ist praktisch allen klar. Deshalb tritt bei einem Nein zur Initiative der indirekte Gegenvorschlag in Kraft. Dieser hat das Anliegen der Ausbildungsoffensive aus der Initiative aufgenommen. In den nächsten acht Jahren soll eine Milliarde Franken investiert werden.
Für Hässig und Wasserfallen ist dies aber keine gute Investition: «Es bringt nichts, oben eine Milliarde reinzuwerfen, wenn unten wieder fast die Hälfte rausfällt», so der Pflegefachmann. «Wenn ich einen platten Reifen habe, pumpe ich ihn ja auch nicht immer wieder auf. Ich flicke das Loch», so die SP-Nationalrätin. Sie sprechen beide die hohe Ausstiegsquote von Pflegenden an.
Hässig in «Arena»: Kantone und Institutionen haben nichts zustande gebracht
Bei der Arbeitssituation und der Arbeitsbelastung müsse angesetzt werden, sagt Hässig. Diese Anliegen der Initiative wurden im Gegenvorschlag nicht berücksichtigt. Die Situation in der Schweiz sei gar nicht so schlecht, meint Bircher: «Hier kommen acht Patienten auf einen Pflegenden, in Deutschland sind es 13.» Ob Deutschland das Ziel der Schweiz sei, fragt Hässig und antwortet gleich selbst: «Ich will keine Verhältnisse wie in Deutschland.»
Arbeitsbedingungen gehören nicht in die Verfassung, bringt Bircher ein weiteres Argument. Dies müssen die Arbeitnehmer und Gewerkschaften mit den Arbeitgebern aushandeln. «Seit Jahrzehnten haben die Kantone und Institutionen nichts zustande gebracht», hält Hässig dagegen. Deshalb werde nun «der grosse Bruder», der Bund, in die Pflicht genommen.
Die Initiative würde nur die diplomierten Pflegefachpersonen betreffen, also «die Privilegierten mit Bachelor- oder Master-Abschluss», argumentiert Bircher. Die 70 Prozent, die am Bett stehen, die Patienten waschen und auf die Toilette begleiten, seien gar nicht gemeint. In der Initiative sei von «in der Pflege tätigen Personen» die Rede, entgegnet Wasserfallen in der «Arena».
«Ich als diplomierter Pflegefachmann gehe auch mit den Patienten aufs WC und kümmere mich am Bett um sie», sagt Hässig. Zusätzlich scanne und analysiere er die Patienten bei jedem Gang ins Zimmer und schaue auch jeden Stuhlgang an. Zudem fehle es vor allem am diplomierten Pflegepersonal.