Ärztemangel: SP will eidgenössische Hochschule für Medizin
SP-Nationalrätin Sarah Wyss verlangt, dass sich der Bund stärker an der Finanzierung des Medizinstudiums beteiligt: «Wir brauchen dringend neue Studienplätze!»
Das Wichtigste in Kürze
- Nationalrätin Sarah Wyss (SP/BS) schlägt eine Lösung vor, um dem Ärztemangel zu begegnen.
- Für die Stadtbaslerin steht fest: «Wir brauchen dringend und schnell neue Studienplätze!»
- Wie beurteilt die Ärzteschaft den Vorstoss der Sozialdemokratin? Nau.ch hat nachgefragt.
Der Fachkräftemangel im Gesundheitswesen ist allgegenwärtig – nicht nur in den Pflegeberufen, sondern auch bei der Ärzteschaft fehlen haufenweise Stellenprozente: Die Alarmsignale aus der Branche mehren sich.
Hausärzte haben zunehmend Schwierigkeiten, einen Nachfolger zu finden. Immer mehr junge Mediziner denken über einen Karrierewechsel nach – vermehrt schon unmittelbar nach dem Abschluss.
Bis 2040 fehlen 5000 Ärzte
Gemäss einer Untersuchung des Beratungsunternehmen «PWC» fehlen in der Schweiz bis zum Jahr 2040 rund 5000 Ärzte. Davon sind längst nicht alle Fachrichtungen in gleichem Ausmass betroffen – die Menschen hingegen schon.
Bis dato werden die fehlenden Mediziner einfach im Ausland abgeworben – auf Kosten der Gesundheitswesen in ihren Herkunftsländern: Zwischen 2012 und 2021 haben hierzulande nach Angaben des Bundesamts für Gesundheit (BAG) rund 10'000 Personen ein Humanmedizinstudium abgeschlossen. Im selben Zeitraum wurden rund 29'000 Diplome von ausländischen Ärzten anerkannt.
Das bedeutet: Seit gut zehn Jahren werden drei Viertel der neuen Ärzte für die Schweiz ausser Landes ausgebildet: Der Ausländeranteil beträgt insgesamt gut 39 Prozent – 2010 waren es noch deren 25.
Eidgenössischen Hochschule soll Abhilfe schaffen
Für SP-Nationalrätin Sarah Wyss steht fest: «Wir brauchen dringend und schnell neue Studienplätze!» Aus diesem Grund verlangt die Stadtbaslerin, dass der Bundesrat die Einrichtung einer eidgenössischen Hochschule für Medizin prüft – nach ETH-Vorbild.
Zu diesem Zweck hat die Sozialdemokratin im Nationalrat ein Postulat eingereicht – die genaue Ausgestaltung überlässt sie bewusst dem Bundesrat: «Eine mögliche Lösung wäre eine Art der Koordination und Finanzierung von zusätzlichen Studienplätzen an bestehenden Universitäten. Eine andere Möglichkeit wäre eine eidgenössische Hochschule mit regionalen Ablegern.»
Mehr als ein Gebäude mit Hörsälen
«Die Gründung einer neuen Universität braucht viel mehr als nur ein Gebäude mit Hörsälen», sagt dazu Monika Brodmann. Sie ist Präsidentin des Schweizerischen Instituts für ärztliche Weiter- und Fortbildung (SIWF). «Die für die praktische Ausbildung benötigte Anbindung an grosse Spitäler und insbesondere die Rekrutierung des Lehrkörpers stellt eine Herausforderung dar.»
Ähnliche Töne stimmt Yvonne Gilli, die Präsidentin der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH), an: Für eine Erhöhung der Kapazitäten benötigten die Fakultäten entsprechende finanzielle Mittel. «Die beschränkte Anzahl der Studienplätze ist auch der fehlenden politischen Finanzierungsbereitschaft geschuldet.»
Gleichzeitig betont die Branchenvertreterin, dass der Vorschlag einer eidgenössischen Hochschule für Medizin das Problem des Ärztemangels «nicht zeitgerecht» lösen könne: Eine Erhöhung der Ausbildungsplätze müsse integrativ betrachtet werden – über den gesamten Zeitraum von Studienbeginn bis zum Erwerb des Facharzttitels. Von Dozierenden über die Praktikumsbetreuung bis hin zur Administration müssten zahlreiche Faktoren miteinbezogen werden.
Kurzfristige Erhöhung über bestehende Gefässe
Gilli und Brodmann sind überzeugt, dass die Vielschichtigkeit der Herausforderung eine Bewältigung auf verschiedenen Ebenen bedinge. Aus diesen Gründen würden sie eine Lösung in Form einer Erhöhung der Ausbildungskapazitäten an den bestehenden Universitäten vorziehen. Für Gilli steht fest: «Eine kurzfristige Erhöhung der Studienplätze kann nur über die bestehenden Gefässe erbracht werden.»
Ein solcher Ansatz müsste mit einer Verbesserung der beruflichen Rahmenbedingungen flankiert werden, so die FMH-Präsidentin. Dabei verweist sie unter anderem auf eine Reduktion der Administrativlast und der Arbeitszeiten oder auf eine vermehrte Schaffung von Teilzeitarbeitsstellen.
Gleichzeitig müssten strukturelle Veränderungen bewältigt werden, erklärt Gilli: «Wir benötigen aktuell vier neue Ärzte, um drei in den Ruhestand tretende Kollegen zu ersetzen. Und das nur, um die bestehenden Kapazitäten zu erhalten!» Zudem werde der Anteil der Ärzte mit einem Teilzeitpensum weiterhin zunehmen, weshalb sich dieses Problem zusätzlich verschärfen werde.
Diese Faktoren führten dazu, dass immer mehr Ärzte ausgebildet werden müssen, ergänzt Brodmann: «Überdies wird auch die praktische Weiterbildung schwieriger, da Patienten vermehrt ambulant behandelt werden. Dies bedeutet leider auch, dass die Weiterbildungskapazitäten in den Spitälern abnehmen. Künftig wird es gerade in den Praxen mehr Weiterbildungsangebote geben müssen.»
Finanzierung auf Bundesebene als Kern der Vorlage
Gerade aus diesen Gründen bilde die Finanzierung auf Bundesebene den Kern ihres Vorstosses, erklärt Wyss auf Anfrage: «Ein Medizinstudium verursacht grosse Kosten – das ist der Hauptgrund, weshalb die Studienplatzkapazität nicht erhöht wird.» Das Postulat fordere explizit keine räumliche Zentralisierung.
Die Sozialdemokratin ist überzeugt: «Mit einer gemeinsamen und schweizweiten (Teil)-Finanzierung könnten diese Kosten gerechter auf die Kantone verteilt werden. Damit müssten sich auch die Nichtuniversitätskantone stärker an der Finanzierung ihrer Versorgungssicherheit beteiligen.»
Bedauerlicherweise würden auf Bundesebene alle diesbezüglichen Vorstösse mit Verweis auf die Mehrkosten und den Föderalismus abgelehnt. «Unter dem Strich sind wir aber für die Versorgung aller zuständig. Wir können nicht einfach zuwarten, bis die Universitätskantone mehr Studienplätze anbieten – wenn sie dies überhaupt von sich aus tun.»