BAG zaudert: Corona-Wunder-Medi für Risikogruppen nicht verfügbar

Matthias Bärlocher
Matthias Bärlocher

Bern,

Risikogruppen fühlen sich alleingelassen: Der Bund hebt Corona-Massnahmen auf, aber kauft im Gegensatz zu Nachbarländern keine Medikamente wie Paxlovid.

Paxlovid Coronavirus Risikogruppe
Das Medikament Paxlovid des US-Pharmakonzerns Pfizer gegen Covid-19 liegt auf einem Tisch. - Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Verärgerte Risikogruppen: Seit dem Wegfall der Corona-Massnahmen sind sie kaum geschützt.
  • Die in Aussicht gestellten Medikamente gegen Covid-19 sind in der Schweiz nicht verfügbar.
  • Kaufen könnte sie nur der Bund, doch die Verhandlungen scheinen zu stocken.

Während die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung im April aufatmete, begann für Risikogruppen das Zittern. Das Ende der «besonderen Lage» und damit der meisten Massnahmen freute die einen, den anderen ging es zu schnell. Vertröstet wurden Immunsupprimierte, Hochbetagte oder solche mit angeborenem Herzfehler unter anderem mit vielversprechenden Medikamenten. Diese sollten bei allfällig Erkrankten für einen milden Verlauf sorgen.

Paxlovid ist verschreibbar, aber nicht verfügbar

Gemäss Schätzungen gibt es zwischen 100'000 und 200'000 Menschen in der Schweiz, bei denen eine Covid-Impfung kaum wirkt. Im Fokus stehen antivirale Medikamente und die sogenannten «monoklonalen Antikörper», mit denen eine Therapie trotz schlechter Immunreaktion möglich wird. Zwölf solcher Medikamente von zehn verschiedenen Herstellern führt die Zulassungsstelle Swissmedic in ihrer Liste. Das tönt vielversprechend für Risikogruppen – doch die Sache hat einen Haken.

Tweets @IchbinRisikoperson Paxlovid Coronavirus
Auf Twitter äussern sich Risikopersonen zunehmend verärgert. - Screenshot Twitter

Über die Hälfte der Medikamente hat noch keine Zulassung, bei zweien wurde gar das Gesuch zurückgezogen. Zwar können zwei der Medikamente trotz laufender Prüfung bereits verschrieben werden: Evusheld von AstraZeneca und Paxlovid von Pfizer. Insbesondere in Paxlovid werden grosse Hoffnungen gesetzt: Es kann für alle besonders gefährdeten Personen eingesetzt werden, nicht nur bei Immunsupprimierten. Beide Medikamente sind in der Schweiz aber gar nicht erhältlich, weil das BAG noch keine gekauft hat.

BAG: «Gespräche laufen»

Legal wäre es also, als Arzt Paxlovid zu verschreiben, aber unmöglich, das Rezept einzulösen. Selbst mit viel Geld könnte man es nicht kaufen. Eveline Siegenthaler von der «IG Risikogruppe Schweiz» hat es versucht, via einen in Deutschland niedergelassenen Arzt. Doch das Bundesministerium für Gesundheit beschied, dass dies nicht möglich sei.

Siegenthaler IG Risikogruppe Coronavirus
Eveline Siegenthaler von der IG Risikogruppe. - Facebook/@eveline.siegenthaler.1

Sie will jetzt via eine Schweizer Apotheke in Deutschland 100 Packungen kaufen, macht sich aber wenig Hoffnungen. Einerseits liegt dies – auch – am Hersteller Pfizer, betont das BAG auf Anfrage: «Während der Covid-19-Pandemie beschlossen die meisten Pharmaunternehmen, nur mit den Regierungen der verschiedenen Länder zu verhandeln.»

Nicht nur in Deutschland, in allen Nachbarländern und fast allen Staaten Westeuropas sei Paxlovid seit Ende Februar 2022 verfügbar, klagt Siegenthaler. «Die Gespräche mit Pfizer zur Beschaffung von Paxlovid laufen», sagt dagegen das BAG auf Anfrage.

Schweiz bestellt «falsches» Corona-Medikament

Während der Bundesrat den Schutz der vulnerablen Bevölkerungsgruppen gelockert hat, wartet diese wohl bis mindestens Mai 2022 auf pharmazeutischen Ersatz. Erst dann soll der Antikörper-Cocktail Evusheld verfügbar sein, der insbesondere für immunsupprimierte und ungeimpfte Risikopatienten grosse Erleichterung bringe, betont Siegenthaler. Doch stattdessen bestelle der Bund weitere 2000 Packungen «Xevudy» der Tessiner Firma «Humabs BioMed».

Evusheld Antikörper AstraZeneca Coronavirus
Eine Pflegende bereitet zwei Dosen des Medikaments Evusheld von AstraZeneca vor, im Tan-Anh-Spital in Hanoi (Vietnam). In der Schweiz ist Evusheld noch nicht verfügbar. - Keystone

Unverständlich für Siegenthaler: «Gegen das aktuell dominante Omikron BA.2 ist Xevudy leider nicht wirksam, Evusheld hingegen schon.» Evusheld wird gar präventiv verabreicht, Paxlovid hätte ebenfalls verschiedene Vorteile, streicht Siegenthaler heraus. Es könnte zu Hause eingenommen werden, und Ärzte könnten vorab evaluieren, ob es ihren Patienten im Ernstfall verabreicht werden kann.

«Absolut keine plausiblen Gründe für lange Wartezeit»

Gemäss Studien schützt Paxlovid bei 89 Prozent der Patienten vor einem schweren Verlauf. Für Schweizer Risikogruppen gilt auch hier aber das Prinzip Hoffnung. Eveline Siegenthaler hat Hinweise, dass die definitive Zulassung durch Swissmedic bald erfolgen soll. Auch seien beim Bund Arbeiten im Gang bezüglich des Vorgehens bei der Abgabe des Medikaments.

Sollte der Bund Corona-Medikamente schneller verfügbar machen?

Zunächst ist sie aber ratlos: Pfizer habe den Zulassungsantrag für Paxlovid bei der EU-Behörde EMA nur eine Woche vor demjenigen bei Swissmedic eingereicht. In der EU ist das Medikament seit Ende Februar verfügbar, seit Anfang April auch regulär zugelassen. Damit könnten gemäss geltender Gesetzgebung Swissmedic und der Bund das Medikament im Eilverfahren zuzulassen, betont Siegenthaler. «Wir sehen absolut keine plausiblen Gründe oder Hindernisse für diese lange Wartezeit.»

Risikopatienten fühlen sich alleingelassen

Für von der Coronasituation betroffene Risikopatienten stellt die Schweizer Gründlichkeit bei der Medikamenten-Zulassung einen weiteren Tiefschlag dar. Sie befänden sich in aller Regel in einer sehr herausfordernden Lebenssituation, weiss Siegenthaler. «Nicht selten haben sie auch im finanziellen und sozialen Kontext zu kämpfen.»

Paxlovid Covid-19 Coronavirus Medikament
Eine Person hält das Medikament Paxlovid des US-Pharmakonzerns Pfizer in den Händen. Paxlovid besteht aus zwei Wirkstoffen: Einer antiviralen und einer retardierenden Substanz. - Keystone

Während zwei Jahren kamen nun noch Isolation und das Gefühl, alleingelassen zu werden, obendrauf. Gefühle, die sich durch weitere Verzögerungen bei Medikamenten nur noch verstärken. Der einzige Rat, den die IG Risikogruppe für Betroffene hat: Schon bei den ersten Symptomen oder einem positiven Test umgehend ambulant ins nächste Spital gehen.

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