Cédric Wermuth (SP) fordert Aufnahme afghanischer Flüchtlinge
Das Wichtigste in Kürze
- Cédric Wermuth ist betroffen über die Situation in Afghanistan. Die Schweiz müsse handeln.
- Der SP-Co-Präsident spricht im Interview auch über die Pläne der SP nach der Pandemie.
Nau.ch: Cédric Wermuth, die Sommerferien sind zu Ende. Konnten Sie sich ausruhen? Ist das heutzutage überhaupt möglich?
Cédric Wermuth: Doch das kann man schon, man muss einfach konsequent sein. Früher fiel mir das schwer, aber heute stelle ich alles ab. Kein Natel, keine News, dann gehts. Ich muss aber auch physisch weg dafür.
Nau.ch: Die Welt leidet diese Tage mit Afghanistan, wo die Taliban die Macht übernommen haben. Wie beurteilen Sie diese Situation?
Cédric Wermuth: Es ist einfach beschämend. Vor 20 Jahren ist der Westen mit Pauken und Trompeten einmarschiert. Nun überlässt man ein ganzes Volk seinem Schicksal und treibt es in ein düsteres Kalifat. Es war leider absehbar, dass es nach dem Abzug der Amerikaner so kommen musste. Es ist sehr bedrückend, und ich bin enttäuscht von den USA und der offenbar völlig planlosen Vorgehen der Regierung Biden.
Nau.ch: Wie sollte die Schweiz auf die jüngsten Ereignisse reagieren?
Unterstützen Sie die Idee, dass die Schweiz Flüchtlinge des islamistischen Terrors aufnimmt?
Cédric Wermuth: Aussenminister Cassis und der Bundesrat müssen sich sofort dafür einsetzen, dass wir Opfer des islamistischen Terrors in die Schweiz holen können. Das sollte nun innerhalb von Tagen geschehen. In einem ersten Schritt müssten Afghanen, welche bereits Verwandte hier haben, Asyl erhalten. Und jene, die schon hier sind, brauchen einen geregelten Aufenthaltsstatus. In den nächsten zehn Jahren kann wohl niemand in dieses Schreckens-Regime zurückgeschafft werden. Die Schweiz muss 10'000 Kontingentsflüchtlinge aufnehmen.
Nau.ch: Müssen wir uns mittelfristig auf eine neue Flüchtlingswelle einstellen?
Cédric Wermuth: Das ist schwer zu sagen. Aber sehr viele Menschen werden vor dem islamistischen Terror flüchten, das ist klar. Die Schweiz muss gemeinsam mit Organisationen wie der Uno Pakistan und andere Nachbarländer unterstützen und dafür sorgen, dass die Grenzen offenbleiben. Sonst nehmen wir unendlich viel Leid und eine verlorene Generation in Kauf.
Nau.ch: Das andere Mega-Thema bleibt die Pandemie. Wie schaffen wir es, diese bald zu beenden?
Cédric Wermuth: Ich glaube, es ist entscheidend, wie wir aus der Krise aussteigen. Dazu müssen wir solidarisch zusammenarbeiten. Falls nicht, ist es vorstellbar, dass die radikalen Massnahmengegner zulegen. Das Bewusstsein für die Wichtigkeit des Service public ist in der Krise gestiegen ist.
Nau.ch: Sie sind jetzt seit 10 Monaten Co-Präsident der SP. Wie zufrieden sind Sie mit dem aktuellen Stand?
Cédric Wermuth: Wir sind natürlich noch nicht dort, wo wir sein wollen. Der Start mitten in der Coronakrise war für uns parteipolitisch zwar einfach, aber für die Schweiz dramatisch. Jetzt geht es in der zweiten Hälfte der Legislatur darum, den Ausstieg aus dieser Krise in Richtung mehr Gleichstellung, Gerechtigkeit und Klimaschutz zu schaffen. Das ist die grosse Herausforderung gerade. Ich glaube, Mattea und ich und die ganze Partei wissen sehr genau, was wir wollen und ein Teil davon ist auch schon spürbar geworden. Ja, diese Partei ist ein grosser Dampfer, aber es macht Spass und ich glaube, das Co-Präsidium war eine der besten Entscheidungen, die wir je getroffen haben.
Nau.ch: Ist ein Co-Präsidium also auch die beste Lösung in Zukunft?
Cédric Wermuth: Ich bin schwer überzeugt. Wenn wir die nächste Generation einbinden wollen, wird das die Zukunft sein. Die anderen Parteien werden das später auch noch merken.
Nau.ch: Die SP beackert den Feminismus. Gleichzeitig mobilisieren entsprechende Demos sehr viele Menschen. Könnte die SP nicht noch viel grösser sein, wenn man all diese Leute an Bord holen könnte?
Cédric Wermuth: Ich glaube, dass es eine der grössten Bewegungen ist, die wir im Moment haben. Dieser muss man auch eine politische Heimat bieten. Wir kämpfen als SP seit Jahrzehnten für die Forderungen des Frauenstreiks. Gemeinsam mit dem Streik wollen wir nächstes Jahr diesbezüglich auch Themen in den Fokus rücken, zum Beispiel die familienexterne Kinderbetreuung und die drohende Erhöhung des Rentenalters.
Uns geht es dabei nicht darum, einer Bewegung hinterherzulaufen, sondern wir glauben daran, dass diese Bewegung das Land in naher Zukunft verändern wird. Das sieht man auch bei den Wahlen.
Nau.ch: Persönliche Frage zum Schluss: Sind sie ein optimistischer Mensch, trotz all den aktuellen Problemen und Ungerechtigkeiten, die Sie sehen?
Cédric Wermuth: Dazu gibt es ein schönes Zitat von Antonio Gramsci, der gesagt hat: Im Kopf sind alle Sozialisten eigentlich immer Pessimisten. Das Entscheidende sei, sich für den Optimismus des Willens zu entscheiden. Und in dem Sinne bin ich optimistisch. Insbesondere wenn ich die junge Generation in diesem Land sehe, die so politisch ist wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Wenn diese Leute durchhalten, dann bin ich überzeugt, dass sich die Schweiz in den nächsten Jahren sehr verändern wird.
* Hinweis der Redaktion: Das Interview wurde am Samstag an einem SP-Anlass geführt und am Montag mit drei Fragen und Antworten zu den jüngsten Entwicklungen in Afghanistan aktualisiert.