Coronavirus: Absage der nächsten Parlamentssession «unvorstellbar»

Matthias Bärlocher
Matthias Bärlocher

Bern,

Die Frühlingssession des Parlaments ist wegen des Coronavirus abgebrochen, doch es stehen Fristen und die nächsten geplanten Sessionen im Raum.

Nationalratssaal leer
Der leere Nationalratssaal im Bundeshaus in Bern, aufgenommen am 22. November 2011. - Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Der Abbruch der Session von National- und Ständerat stösst auf breite Akzeptanz.
  • Die Parlamentarier bestehen aber darauf, dass bis im Mai eine Lösung gefunden wird.
  • Wie diese aussehen soll, ist alles andere als klar.

National- und Ständerat sollen mit gutem Beispiel vorangehen: Das ist die einhellige Meinung bei Parlamentariern jedwelcher Couleur. Der Abbruch der Session wegen des Coronavirus sei darum richtig.

Aber: «Wir tun alles, damit das Parlament weiterhin uneingeschränkt arbeiten kann», sagt Nationalratspräsidentin Isabelle Moret gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Denn eigentlich müssten in diversen Geschäften baldige Entscheide fallen – damit die Schweiz auch in der Krise präzise funktioniert. Präzise wie, naja, ein Schweizer Uhrwerk.

Abstimmungskampf und EU-Frist betroffen

Die in der dritten und letzten Sessionswoche betroffenen Entscheide wurden als nicht dringend befunden. Trotzdem setze man alles daran, dass das Parlament rasch wieder tagen könne, sagt SP-Fraktionspräsident Roger Nordmann auf Anfrage. Denn einige Entscheide sollten, wenn nicht diese Woche, so doch baldmöglichst getroffen werden.

Begrenzungsinitiative Andreas Glarner
SVP-Nationalrat Andreas Glarner hält ein Plakat bei der Einreichung der Unterschriften zur Volksinitiative für eine massvolle Zuwanderung, die sogenannte Begrenzungsinitiative, am Freitag, 31. August 2018, in Bern. - Keystone

Dazu gehört der Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative, dessen Frist Ende April abläuft. Die EU ihrerseits drängt darauf, dass unmittelbar nach der Volksabstimmung über die Begrenzungsinitiative am 17. Mai die Entscheide zum Rahmenabkommen fallen.

Ob diese Volksabstimmung stattfinden kann, ist derzeit noch unklar. Als Argument im Abstimmungskampf hätte die Überbrückungsrente dienen sollen, doch die ist jetzt ebenfalls nicht zu Ende beraten worden.

Entspannte Parlamentarier

Bei den Parteien nimmt man dies allerdings mit einem Schulterzucken zur Kenntnis. Priorität habe der Schutz der Bevölkerung und die Ausbreitung des Virus zu stoppen, sagt CVP-Mitte-Fraktionspräsidentin Andrea Gmür zu Nau.ch.

«Alles andere ist sekundär.» Die Termine für die im Mai geplante Sondersession und die Sommersession im Juni werden vorläufig beibehalten.

Abstimmung Nationalrat elektronisch
Abgestimmt wird im Nationalrat bereits elektronisch, die Parlamentarier müssen dazu aber physisch im Saal anwesend sein. Ein Bildschirm zeigt die Resultate der Abstimmung zum Geschäft Nummer 17.060 «Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt. Volksinitiative» während der Frühlingsession der Eidgenössischen Räte, am 4. März 2020. - Keystone

Das wäre ganz im Sinne von Stéfanie Prezioso, der einzigen bereits letzte Woche wegen dem Coronavirus vom Ratsbetrieb ausgeschlossenen Nationalrätin. Was in anderthalb Monaten sei, wisse ja niemand, aber: «Ich vertraue darauf, dass Lösungen gefunden werden können, im Extremfall bis hin zu Videokonferenzen.» Ob solcherlei realisierbar ist, ist allerdings nicht klar. FDP-Nationalrätin Doris Fiala hat deshalb letzte Woche entsprechende Fragen an den Bundesrat eingereicht.

Fristen schieben, Stühle rücken

Die Fristen, auch solche für Unterschriftensammlungen, werden wegen des Coronavirus wohl einfach «eingefroren». Generell gelte es, nicht all zu formalistisch zu sein, betont Roger Nordmann. «Wir sollten die Fristen ausserordentlich verlängern, weil es eine ausserordentliche Situation ist.»

Nationalrat Session Abbruch
Ein Abbruch oder Unterbruch der Session war im Nationalrat früher gang und gäbe, wie dieser Ausschnitt aus dem Protokoll vom 17. September 1934 zeigt. - Schweizerisches Bundesarchiv

Geklärt werden soll, wo eine nächste Session stattfinden kann, so dass die Räte genügend Abstand zu Banknachbarn halten können. Doch das bringe weitere kritische Punkte mit sich, warnt Stéfanie Prezioso: «Den Transport dort hin, die Unterbringung in Hotels – werden die nicht geschlossen?»

Versagen «unvorstellbar»

Wie der Bundesrat gestern an der Pressekonferenz mitgeteilt hat: Nein, Hotels bleiben auch in Zeiten des Coronavirus offen. Aber nicht nur die Vollversammlung, auch Kommissionssitzungen müssen weiterhin stattfinden können, stellt Nationalratspräsidentin Isabelle Moret klar.

Und, viel wichtiger: Die aus sechs National- und Ständeräten zusammengesetzte Finanzdelegation. Diese müsste zustimmen, wenn der Bundesrat weitere Milliardenkredite beantragt.

Stéphanie Stefania Prezioso Coronavirus
Nationalrätin Stéphanie Prezioso von «Ensemble à Gauche» aus Genf politisiert für die Grüne Fraktion, hier während der Wintersession 2019. - Keystone

Nicht zuletzt sind Parlamentarier auch nur Menschen: Sie können ebenfalls am Coronavirus erkranken. Dass das ein Problem werden könnte, sei aber unwahrscheinlich, meint Roger Nordmann. Bei 50 Prozent Anwesenden sei man beschlussfähig: «Es müssten schon sehr viele krank sein, damit der Nationalrat nicht rechtsgültig tagen könnte.»

Andererseits gehen alle Szenarien davon aus, dass eben «sehr viele» Personen krank werden. Kommt dazu, dass das Parlament älter ist als der Bevölkerungsdurchschnitt. Aber dann stünde schlicht die Demokratie auf dem Spiel, sagt Stéfanie Prezioso, und das wäre ein No-Go. «Es erscheint mir unvorstellbar, dass es keine technischen Lösungen gibt, die die Sicherheit gefährdeter Personen gewährleisten.»

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