Covid-19-Gesetz: Longchamp schätzt Annahme als wahrscheinlicher ein
Im Interview mit Nau.ch schaut Politologe Claude Longchamp auf die verschiedenen Lager im Abstimmungskampf zum Covid-19-Gesetz.
Das Wichtigste in Kürze
- Politologe Claude Longchamp schätzt die Lage zur Abstimmung über das Covid-19-Gesetz ein.
- Er spricht von einer thematischen, inhaltlichen und gesellschaftlichen Polarisierung.
- Nichtsdestotrotz hab das Gesetz an der Urne gute Chance für ein Ja.
Die Bilder aus Zermatt, Giswil und der Demonstration vor dem Bundeshaus haben sich in das kollektive Gedächtnis eingebrannt. An diesen Ereignissen zeigt sich die zunehmende Polarisierung der Schweiz in Bezug auf das Covid-19-Gesetz.
Auch Politologe Claude Longchamp sieht eine Veränderung in der Gesellschaft. «Was mich beschäftigt, ist das Phänomen, dass wir nicht nur eine thematische und inhaltliche Polarisierung haben, sondern eine gesellschaftliche Polarisierung.»
Polarisierung in der Politik ist normal – in der Gesellschaft aber ein Problem
Das sei ein Thema, über das man in den USA schon lange diskutiere. «Nicht nur die Politik ist polarisiert, sondern auch die Gesellschaft. Die beiden Lager sprechen nicht mehr miteinander, kennen sich nicht und wohnen nicht mal am gleichen Ort. Die einen auf dem Land und die anderen in den Städten.»
«Diese Art von Polarisierung stellt man inzwischen mindesten im Ansatz auch in der Schweiz fest», so Longchamp. «Heutzutage sind alle ein Feindbild geworden, die sich nicht richtig verhalten im Sinn der eigenen Gruppe. Das halte ich insgesamt für eine gefährliche Entwicklung.»
Die Gräben würden wohl auch nach der Pandemie nicht so schnell wieder verschwinden. «Die Politik wird unabhängig von der Corona-Frage polarisiert bleiben», sagt Longchamp. Doch das sei in einer Demokratie, auch in einer direkten, nicht überraschend. Nur wenn die Fronten immer gleich blieben, sei es problematisch.
Die grössere Herausforderung liege aber in der Spaltung der Gesellschaft, die sich in immer mehr in einzelne Szenen aufteile. Dabei sei vor allem problematisch, dass die Gruppierungen ausschliesslich untereinander diskutieren würden. «So etwas wird nicht so schnell wieder verschwinden.»
«Ohne Corona wird es diese Gruppierungen nicht mehr geben»
Bewegungen, die Abstimmungskämpfe beeinflussen wollen, seien in der Schweiz nicht üblich. Meistens geschehe das über die klassischen Marketing-Kampagnen der Parteien. «Das ist etwas Neues und somit auch etwas Interessantes», analysiert Longchamp.
Spätestens mit dem Tabubruch an der Demonstration in Bern, mit dem Angriff auf das Bundeshaus, habe es eine Radikalisierung gegeben. Longchamp spricht sogar von einer Zweiteilung in eine friedliche, grosse und eine kleinere und radikalere Bewegung.
«Diese Bewegungen sind von mir ausgesehen abhängig vom Hintergrund des Corona-Regimes. Ohne diesen Hintergrund wird es sie nicht mehr geben», ist Longchamp überzeugt.
Hat die Politik bei Plattformen wie Telegram Handlungsbedarf?
Unregulierte Plattformen wie Telegram spielten für die Bewegungen der Massnahmen-Kritiker eine zentrale Rolle. Gleichgesinnten würden mit gezielter toxischer Information radikalisiert werden, sagt Longchamp.
«Sie können auch motiviert werden, Sachen zu machen, die sie vor einem Jahr nicht getan hätten.» Longchamp geht davon aus, dass es im Vorfeld der Nationalratswahlen 2023 Vorstösse zur Regulierung geben wird. Es sei aber nicht einfach, eine nationale Regulierung globaler Plattformen zu veranlassen.
Profitiert die SVP davon?
Die einzige Partei, die zumindest inhaltlich die Bewegung unterstützt, ist die SVP. Schafft sie es, da Wählerinnen und Wähler zu gewinnen?
Im ersten Moment habe die SVP einen guten Eindruck gemacht, weil sie aus der Defensive kam. Sie habe versucht, die Bewegung in die Institutionen hineinzutragen und mit diesen Personen zusammenzuarbeiten.
Aber nun gebe es selbst in der SVP immer grössere Widerstände dagegen, so Longchamp. Es sei nicht ganz auszuschliessen, dass die Einschleusung der Bewegungen für die SVP zum Bumerang werden könnte, sagt Longchamp. Es könne zu internen Irritationen, statt zur gewünschten Mobilisierung kommen.
Prognose Covid-19-Gesetz: Gegner werden aufholen, aber es wird nicht reichen
Für eine definitive Prognose zum Covid-19-Gesetz will Longchamp noch die letzten zwei Umfragen vom kommenden Mittwoch abwarten. Im Juni seien die Nein-Stimmen zum Covid-19-Gesetz leicht zu hoch gewesen, gegen Ende des Abstimmungskampfs wurden die Gegner stärker. «Es ist ihnen insgesamt besser gelungen zu mobilisieren, als den Befürwortern. Es würde mich also nicht erstaunen, wenn die Endwerte tiefer werden als bei den aktuellen Umfragen.»
Auch wenn die Gegner des Covid-19-Gesetzes gegen Schluss aufholen, müssten sie doch 20 bis 30 Prozent gutmachen. «Das ist viel. Ein Ja ist nach wie vor die wahrscheinlichere Variante beim Covid-19-Gesetz.»