Darum empfängt Ignazio Cassis Österreichs Bundeskanzler in Zofingen
Nicht in Bern, sondern in Zofingen empfängt Bundespräsident Ignazio Cassis den Bundeskanzler Österreichs, Karl Nehammer. Solches soll kein Einzelfall bleiben.
Das Wichtigste in Kürze
- Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer kommt zu einem offiziellen Besuch in die Schweiz.
- Bundespräsident Ignazio Cassis empfängt ihn im aargauischen Zofingen.
- Dies soll Startpunkt sein zu weiteren solcher Besuche, heisst es aus dem Bundeshaus.
Dass sich die Staatsoberhäupter Österreichs und der Schweiz Anfang Jahr treffen, hat Tradition. Neu im Amt – also bei Schweizer Bundespräsidenten im Januar – geht in der Regel die erste Auslandreise ins Nachbarland. Österreich hat einen etwas anderen Rhythmus, besucht wird trotzdem, und zwar natürlich in Wien oder Bern.
Bundeskanzler Karl Nehammer trifft Bundespräsident Ignazio Cassis am Montag aber im aargauischen Zofingen. Das scheint gleich doppelt verkehrt zu sein. Doch hat es ein wenig mit Pandemie, viel mit Cassis und, Aargauer ahnen es, mit 700-jährigen Gschicht’n zu tun.
Telefongespräche sind keine Treffen
Cassis hatte Nehammer schon am 13. Januar im Rahmen seines Besuchs in Wien treffen wollen. Doch Nehammer war kurz zuvor positiv auf das Coronavirus getestet worden. Zwar traf sich Cassis mit Bundespräsident Alexander van der Bellen, dem Staatsoberhaupt, doch mit Regierungschef Nehammer konnte er lediglich telefonieren.
Da der Schweizer Bundespräsident offiziell weder Staatsoberhaupt noch Regierungschef ist, inoffiziell aber irgendwie beides, «zählt» dies nun nicht. Das Gespräch von Angesicht zu Angesicht soll deshalb nachgeholt werden. Kommt dazu: Für den ausserplanmässig Anfang Dezember ins Amt gerutschten Nehammer wird der Schweiz-Trip zu seiner ersten bilateralen Auslandsreise. Es wären also alle Scharten ausgewetzt, wenn da nicht die Location Zofingen neue Normabweichungen schaffen würde.
Zofingen hat sich «offenbar aufgedrängt»
In der Aargauer Kleinstadt selbst fühlt man sich geehrt durch den hohen Besuch. Die Verbindung zu Österreich liegt für historisch Bewanderte auf der Hand.
Da waren die aus dem Aargau stammenden Habsburger, auch wenn die Habsburg rund 30 Kilometer von Zofingen entfernt liegt. Da war aber auch Niklaus Thut, im 14. Jahrhundert Schultheiss der habsburgischen Stadt Zofingen und heute als Stadtpatron verehrt.
Auf dem Niklaus-Thut-Platz vor dem Zofinger Rathaus soll Bundeskanzler Nehammer von der Schweizer Delegation empfangen werden. Dann dürfte ihm vollends klar werden, warum sich Zofingen, wie die Stadtkanzlei es formuliert, «offenbar aufgedrängt» hat. Denn das Stadtwappen ist «dreimal geteilt von Rot und Weiss», fast identisch mit dem rot-weiss-rot Österreichs. Kein Zufall: Beides geht zurück auf die Habsburger.
Cassis’ Credo: Weg von Bern
Schön und gut, aber warum will Ignazio Cassis mit seinem hohen Besuch überhaupt weg von Bern? Die Angst vor Trucker-Demos kann es nicht sein, nota bene sind die ja ebenfalls von Bern in den Aargau ausgewichen. Nein, der Empfang in Zofingen soll nichts weniger als ein Startpunkt sein, teilt das EDA mit. In seinem Amtsjahr habe der Bundespräsident an ganz verschiedenen Orten in der Schweiz offizielle Besuche ausländischer Gäste vorgesehen.
«Dies entspricht dem Credo des Bundespräsidenten», betont das EDA. «Die Vielfalt der Schweiz so auch gegen aussen zu tragen und gleichzeitig die Aussenpolitik schweizweit erlebbar zu machen.» Passende Orte sind leicht zu finden: Mit dem Papst nach Ecce Homo SZ, mit Wladimir Putin nach Moskau SH. Oder mit Mario Draghi nach Neuenburg – gleiche Flagge!
Wobei solcherlei Analogien auch heikel sein können, sehen doch die Flaggen Neuenburgs und Italiens lediglich zufällig gleich aus. Und der Zofinger Niklaus Thut ist vor allem für eins berühmt: Dass er in der Schlacht bei Sempach fiel und nicht etwa für, sondern gegen die Eidgenossen kämpfte. Um seiner Stadt Schmach zu ersparen, soll er der Legende nach im Sterben liegend das Zofinger Banner verschluckt haben.
Die Symbolik ist wohl nicht gewollt, könnte aber bei Karl Nehammer sogar Anklang finden. In der Niederlage Beweismittel zu verschlucken, darauf ist die krisengeschüttelte österreichische Regierung bis jetzt noch nicht gekommen.