Das sind Alternativen zu einem Taskforce-«Maulkorb»
Das Wichtigste in Kürze
- Die Taskforce steht erneut in der Kritik und ein Maulkorb wird gefordert.
- Die Wissenschaftler rechtfertigen sich, sie hätten nichts Falsches gesagt.
- Als Alternative zur Zensur bieten sich interaktive Tools für Politiker an.
Wiederholt haben sich Parlamentarier, aber auch die Bevölkerung aufgeregt über die vom Bundesrat eingesetzte wissenschaftliche Taskforce zur Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie. Mal wird die Berechnung des R-Werts angezweifelt, mal die Kompetenz in Wirtschaftsfragen. Oft, wie gerade aktuell wieder, aber die im Voraus präsentierten Modelle, die im Nachhinein wenig plausibel erscheinen.
Die postwendende Forderung, die Taskforce solle doch überhaupt nichts mehr öffentlich sagen und nur den Bund beraten, ist nicht neu. Schon im Frühling beantragte die Wirtschaftskommission des Nationalrats einen Maulkorb für die Wissenschaftler. Der Nationalrat lehnte dies im März aber mit 116 zu 78 Stimmen ab. Auch jetzt würde wohl ein Maulkorb nicht für Beruhigung, sondern wohl für neue Unsicherheiten sorgen.
Taskforce: Gut, aber nicht perfekt
Einig sind sich die meisten: Die 70 Mitglieder der Taskforce leisten auf ihren jeweiligen Fachgebieten wertvolle Arbeit und dies erst noch ehrenamtlich.
Wer sonst sollte uns beraten, wenn nicht diejenigen, die sich bereits seit Jahren mit Immunologie, Biostatistik, Ethik oder ganz konkret mit dem Coronavirus beschäftigen? Und ja: Auch wirtschaftliche Kompetenz ist vorhanden, mit Namen wie Jan-Egbert Sturm oder Beatrice Weder di Mauro.
Für die Ökonomie hat die Taskforce eine eigene Untergruppe, für Psychologie dagegen nicht und auch Soziologen sind eher spärlich gesät. Um zu beurteilen, ob dies ein Mangel ist, müsste man aber fast Experte für Taskforce-Experten sein.
Die Erklärungsversuche, warum die Pandemie-Modelle für den Frühling ausschliesslich schlimmer als das tatsächlich eingetretene waren, erscheinen aber etwas hilflos. Denn dass sich Wetter, Outdoor-Freizeitverhalten und Ferien auf die epidemiologische Lage auswirken, hätten vermutlich Vertreter der Sozialwissenschaften quantifizieren können.
Maulkorb wäre kontraproduktiv
Die Präsentation von bunten Kurven und pastellfarbenen Unsicherheitsflächen ist aber nicht das einzige, was die zehn Expertengruppen der Taskforce tun.
Schon allein deswegen scheint es heikel, ihr die Kommunikation zu verbieten beziehungsweise nur durch den Zensurfilter der Bundesbehörden zu erlauben. Verschwörungstheorien könnten erst recht ins Kraut schiessen, wenn nicht klar ist, ob wirklich alle Erkenntnisse an die Öffentlichkeit gelangen.
Hilft es, drei Hygienemasken übereinander zu tragen, welche Daten speichert die Covid-App und wo, wer sollte wann wie oft geimpft werden? «Warum sagt uns der Bundesrat nicht endlich die Wahrheit», man sieht die Vorstösse im Parlament schon vor dem geistigen Auge.
Was aber nicht heissen, die Taskforce müsse ihre sämtlichen Erkenntnisse und Überlegungen der breiten Öffentlichkeit an den informationsüberfluteten Kopf werfen.
Die Bevölkerung denkt mit
Die Taskforce sieht sich wie viele Wissenschaftler mit einem altbekannten Problem konfrontiert. Transparenz ist gut, vorausgesetzt, das Publikum hat zum Thema gute Vorkenntnisse und kann die Informationen entsprechend einordnen.
Ansonsten besteht die Gefahr von Reaktionen wie «ich verstehe es nicht, also muss es falsch sein». Oder es werden Zusammenhänge gesehen, wo keine sind: Logisch sinkt die Geburtenrate, wenn die Storchenpopulation zurückgeht.
Bei der Taskforce kommt hinzu: Viele haben unterdessen ziemlich viel Ahnung von Pandemie und alle sind vom Thema betroffen. Wenn am CERN in Genf eine Grafik zum Nachweis des Higgs-Bosons präsentiert wird, kann man getrost auf Hintergrund-Informationen und Pastellfarben verzichten. Wenn die Taskforce einen Pandemieverlauf präsentiert, wird sie zum Nati-Trainer: Jeder im Publikum weiss es besser.
Wir wollen ja nur spielen
Die Taskforce wird nicht müde zu betonen, es handle sich bei den Modellen nicht um Prognosen, sondern Szenarien. Damit hat sie recht und wir sollten uns dies merken und dafür schämen, dass wir je etwas anderes angenommen haben. Tun wir aber meist nicht, womit der Taskforce wohl nichts übrigbleibt, sich uns anzupassen, nicht umgekehrt.
Statt statischen, exemplarischen Grafiken, die auf uns nicht ganz einleuchtenden Annahmen beruhen, gäbe es 2021 zum Glück auch andere Mittel. Mit dem Vorteil, dass Parlamentarier und interessierte Stimmbürger selbst in der Verantwortung stehen.
Der Politik soll erklärt werden: Guck, wenn ihr die Leute jetzt rauslasst, passiert mit den Spitälern dieses und jenes. Wenn man selbst diese Erfahrungen machen kann, ist das weitaus beeindruckender als es vom Experten eingetrichtert zu erhalten. Wer in einer Simulation selbst mit Parametern herumspielen kann, erlebt sofort, welche Werte die Kurven wild herumspringen lassen oder eben nicht.
There’s an app for that
Solche Anwendungen gibt es längst und hat die ETH sicher auch auf Lager. «Dank» Coronavirus gibt es auch simple Pandemie-Simulatoren für iOS und Android. Die sind zwar weit entfernt von den Problemstellungen für das BAG und National- und Ständerat. Aber Visualisierungen unter reelleren Annahmen existieren ebenfalls.
Herr Fraktionspräsident will die Quarantäne auf fünf Tage verkürzen: Chamemache, sähe dann so aus. Frau Mitglied der Gesundheitskommission will die Schulen schliessen: Bringt da die rote Kurve in den grünen Bereich.
Was bringt massives Testen, was für Effekte hat die Kontaktmatrix der Schweiz im Vergleich zu Schweden: Probieren Sie es aus. Wer selbst ein Szenario (keine Prognose) erstellt, kritisiert auch niemanden, wenn es dann nicht so kommt.