Die Privatunterbringung von Asylsuchenden spaltet die Geister
Schnapsidee oder Erfolgsmodell? An der Privatunterbringung von Asylsuchenden spalten sich die Geister.
Das Wichtigste in Kürze
- Ein SP-Einwohnerrat schlägt den Ausbau der Privatunterbringung von Asylsuchenden vor.
- Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) hält dies auch national für ein Erfolgsmodell.
- «Eine völlige Schnapsidee», erwidert die Aargauer SVP-Nationalrätin Martina Bircher.
Im kommenden Herbst droht dem Asylwesen in der Schweiz der Kollaps: Immer mehr Kantone können den Zustrom an Asylsuchenden kaum noch bewältigen. Die Armee muss temporäre Unterkünfte zur Verfügung stellen – obwohl Geflüchtete aus der Ukraine vermehrt bei Privathaushalten unterkommen.
Händeringend versucht die zuständige Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider, mehr Unterbringungsplätze zu schaffen. Die Genossin will trotzdem nicht von einem «Asyl-Chaos» sprechen.
Asylsuchende bei Privatpersonen unterbringen?
Auf Gemeindeebene wählen SP-Politiker ähnliche Ansätze, wie ihre Justizministerin – beispielsweise in Brugg AG. Für SP-Einwohnerrat Pascal Ammann liegt die «Lösung» auf der Hand: Er möchte, dass die Schweizer Bevölkerung mit Privatunterbringungen versucht, den Engpässen zu begegnen.
Die Bevölkerung habe sich seit Beginn des Ukraine-Krieges sehr solidarisch gezeigt: Private Lösungen seien durch den Kanton und die Gemeinden sehr geschätzt und gefördert worden. Für Asylsuchende mit einem anderen Status sei es hingegen äusserst schwierig, die Bewilligung für eine private Platzierung zu erhalten. Aus diesem Grund will der 31-Jährige bewirken, dass die Hürden für Privatplatzierungen tiefer werden – in seiner Gemeinde.
Möglicher Ansatz auf nationaler Ebene?
Für Eliane Engeler von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) würde die Privatunterbringung als Integrationsmassnahme auch auf nationaler Ebene ein Erfolgsmodell darstellen: Gastfamilien förderten die soziale und sprachliche Integration und würden helfen, Tagesstrukturen zu schaffen. Überdies könnten sie auch bei der Suche nach Arbeit oder bei der Bildung unterstützend eingreifen.
Engeler ist überzeugt: «Die private Unterbringung mitten in der Gesellschaft sollte für alle Flüchtlingsgruppen geöffnet und fest im Asylwesen etabliert werden. Gastfamilien machen es für die Geflüchteten einfacher, hier Fuss zu fassen. Die Nähe zur Gesellschaft ist für die Geflüchteten wie auch für die Bevölkerung ein Mehrwert.»
In einigen Kantonen sei dies bereits der Fall, andere Kantone arbeiteten zum ersten Mal mit Gastfamilien. Die SFH-Mediensprecherin betont jedoch, dass es schweizweit einheitliche Standards brauche: Einerseits für die Vermittlung in Gastfamilien, andererseits für deren Betreuung und Begleitung. Zudem müssten auch die Gastgebenden entschädigt werden, damit das Engagement nicht zur finanziellen Belastung werde.
SVP spricht von «völliger Schnapsidee»
Wenig überraschend hält die SVP, in der Person von Nationalrätin Martina Bircher, wenig von der Idee des Genossen aus Brugg: «Eine völlige Schnapsidee! Das zerstört den ganzen Verteilmechanismus im Asylwesen – und damit auch die Lastenverteilung zwischen den Kantonen und Gemeinden.»
Bedauerlicherweise habe sich die Bereitstellung von privaten Wohnungen für die Beherbergung von Asylsuchenden überdies zum lukrativen Geschäftsmodell gemausert: «Bei den meisten geht es mehrheitlich um Profit – das hat die Erfahrung bei der Unterbringung ukrainischer Flüchtlinge gezeigt.»
So würde die Privatunterbringung heute schlicht über die Vermietung von leeren Wohnungen geschehen. Den Vermietern winkten höhere Renditen bei kleinerem Risiko, wie die Aargauerin erklärt: «Frei nach dem Motto: Der Staat schaut schon!» Dies sei gerade mit Blick auf die Wohnungsnot verantwortungslos, da dieser Wohnraum nicht mehr auf dem Markt verfügbar sei.
Zwar ist auch Bircher überzeugt, dass die Privatunterbringung mit Blick auf die Integration durchaus Vorteile mit sich bringen könne. Aber: Diese Art der Unterbringung sei sehr kurzlebig, auch dies hätten die Erfahrungen mit den ukrainischen Flüchtlingen gezeigt.
Tatsächlich berichtet die «Aargauer Zeitung», dass auch in Brugg zunehmend mehr Familien das Gastrecht der bei ihnen untergebrachten Ukrainern beenden. Auch aus einer SFH-Befragung geht hervor: Rund ein Viertel der Gastfamilien berichten von gemischten Erfahrungen. Rund zehn Prozent stufen das Zusammenleben gar als «eher schwierig» oder «sehr schwierig» ein. Im Umkehrschluss bedeutet dies aber auch, dass zwei Drittel der Befragten positive Erfahrungen machten.
Masslose Zuwanderung oder kein Verhältnis zu realen Zahlen?
Für SVP-Nationalrätin Bircher steht fest, dass die vorgeschlagene Lösung reine Symptombekämpfung darstelle. Die Kapazitäten seien weder bei der Beherbergung, noch bei der Betreuung oder der Finanzierung ausreichend: «Es fehlt an allem – darum muss der Zustrom sofort gestoppt werden!»
SFH-Mediensprecherin Engeler betont ihrerseits: «Wir nehmen die Sorge, die Schweiz hätte zu wenig Kapazitäten, um mehr Asylsuchende aufzunehmen, sehr ernst.» Doch die Anzahl der Asylgesuche machten im Jahr 2022 «nur rund ein Prozent der Gesamtbevölkerung» aus: «Das Ausmass der öffentlichen Debatte über Schutzsuchende und das Asylwesen steht also in keinem Verhältnis zu den realen Zahlen.»