Doris Leuthard zum 10. Fukushima-Jahrestag & dem CO2-Gesetz
Am 11. März 2011 kam es zur Atomkatastrophe in Fukushima. Zehn Jahre danach schaut alt Bundesrätin Doris Leuthard zurück – und äussert sich zum CO2-Gesetz.
Das Wichtigste in Kürze
- Am 11. März 2011 ereignete sich nach einem Erdbeben die Nuklearkatastrophe in Fukushima.
- Das Ereignis bewog die Politik unter Führung von Doris Leuthard zum Atomausstieg.
- Die damalige Energieministerin blickt im Nau.ch-Interview zurück – aber auch nach vorne.
Nau.ch: Frau Leuthard, wissen Sie noch, wie Sie am 11. März 2011 von einem atomaren Zwischenfall in Japan erfahren haben?
Doris Leuthard: Ich wurde abends informiert. Ich wusste bis auf das Ereignen eines Erdbebens und einer Tsunami-Welle noch nicht viel über das Ausmass der Katastrophe. Erst fast einen Tag später haben wir erfahren, dass das Kernkraftwerk schwer betroffen ist. Dann ging alles sehr schnell.
Nau.ch: Ziemlich schnell stellte sich auch heraus, dass Fukushima eine Zäsur in der Schweizer Energiepolitik bilden wird. Wann wurde Ihnen das bewusst?
Doris Leuthard: Nach rund einer Woche zeichnete sich ab, dass es in Fukushima grosse Schäden gab. Obwohl die atomare Sicherheit in der Schweiz laufend überprüft wurde, gaben wir neue Kontrollen in Auftrag. Wir waren mitten im Prozess, ob wir die drei ältesten Kernkraftwerke (Beznau 1 und 2 sowie Mühleberg, Anm. d. Red.) durch ein neues ersetzen sollen.
Ich gab innerhalb des Departements und an der ETH sofort Analysen und Berechnungen in Auftrag. Diese sollten aufzeigen, ob wir überhaupt die Möglichkeiten hätten über erneuerbare Energien aus der Atomenergie auszusteigen und wie lange dies dauern würde. Die Resultate waren dann die entscheidenden Grundlagen für den Atomausstieg.
Nau.ch: Dieser Atomausstieg wurde im Bundesrat mit der aufsehenerregenden 4:3-Frauenmehrheit beschlossen. Wie liefen diese Diskussionen im Regierungskämmerlein ab?
Doris Leuthard: Über Internas aus dem Bundesrat gebe ich keine Auskunft. Aber wie die Öffentlichkeit bereits weiss, wurde der Entscheid effektiv von den Frauen geprägt. Ich habe das Gefühl, dass Frauen in Umweltthemen generell sensibler und linker positioniert sind. Meine Kolleginnen und ich haben die Umwelt höher gewichtet als unsere männlichen Regierungsmitglieder.
Nau.ch: Wie schafften Sie es dem immensen Druck der AKW-Lobby zu widerstehen?
Doris Leuthard: Das war sicher keine angenehme Situation. Aber wir hatten gute technische Berechnungen, die die ETH bestätigte. Diese lieferten Argumente, dass es falsch ist für die nächsten 40 Jahre Milliarden in veraltete Technologien zu investieren.
Wenn man überzeugt ist das Richtige zu tun, dann hält man auch Druck aus. Schlussendlich gab uns das Volk recht und insofern haben wir richtig gehandelt.
Nau.ch: Auch durch Ihre Herkunft aus dem Aargau erhielten Sie den Übernamen «Atom-Doris». Dann wurden Sie quasi zur «Atomausstiegs-Doris». Wie gingen Sie damit um?
Doris Leuthard: «Atom-Doris» war ein «Mänteli», das mir gegeben wurde. Das passiert. Wichtiger scheint mir, dass der Atomausstieg für meinen Heimatkanton nicht einfach war und bis heute nicht ist. Mit Leibstadt und Beznau hat der Aargau aktive Kernkraftwerke, die viele Arbeitsplätze und sehr tiefe Steuersätze bieten. Insofern wird es bei der Ausserbetriebnahme nicht einfach, diesen Mitarbeitern eine Perspektive zu geben.
Deshalb hatte ich immer Verständnis, dass solche Veränderungen für gewisse einen Gewinn, für andere einen Verlust bedeuten. Darum muss man solche Prozesse gut begleiten und auf die Bildung neuer Jobs verweisen.
Nau.ch: Ab 2018 erlebte die Klimadiskussion einen Hype. Wäre nicht gerade jetzt Atomenergie wieder zielführend, da sie relativ «sauber» ist?
Doris Leuthard: Das war immer ein Vorteil der Schweizer Stromproduktion, dass der Mix mit Wasserkraft und Atomenergie fast CO2-neutral ist. Aber man muss schon sehen: Strom ist ein Viertel des ganzen Energiebedarfs. Betreffend CO2 gründen die Probleme vor allem in der Mobilität, in den Haushalten und der Industrie.
Ich bin überzeugt, dass wir den guten Mix im Strombereich mit den erneuerbaren Energien beibehalten können. Es wäre fatal auf Gas umzustellen. Das bedeutet im Umkehrschluss aber auch, dass die Bevölkerung den Widerstand gegen Wind- und Wasserkraftwerke aufgeben muss. Da sind noch Kurskorrekturen von Nöten und es wird sich erst in 15 bis 20 Jahren zeigen, ob es gelingt.
Nau.ch: Im Juni entscheidet das Stimmvolk über das CO2-Gesetz ab. Wie stehen Sie hierzu?
Doris Leuthard: Ich stehe immer hinter dem Bundesrat (lacht). Ich hatte dieses Gesetz ja noch aufgegleist. Simonetta Sommaruga hat es im Parlament dann übernommen.
Wir haben uns in Paris zur Reduktion von CO2 verpflichtet. Das ist ein Pfad. Alle zehn Jahre justieren wir unsere Ziele und die Massnahmen dazu. Das Parlament hat ein paar Änderungen vorgenommen. Das gehört dazu.
Wenn die Schweiz glaubwürdig sein will, müssen wir unser CO2 weiter reduzieren. Weil wir einen tiefen Pro-Kopf-Ausstoss haben, können wir als eines der wenigen Länder auch im Ausland reduzieren. Mit 100 Franken kann man dort mehr anfangen als bei uns.
Darum finde ich das erarbeitete Gesetz sinnvoll und ökonomisch verträglich. Wir verkraften das. Wir haben schon sehr viel gemacht und werden die Ziele bis 2030 erreichen. Nichts tun, ist immer schlechter.
Nau.ch: Wo stünde die Schweiz heute energiepolitisch, wenn es Fukushima nicht gegeben hätte?
Doris Leuthard: Ohne den Unfall ist es durchaus möglich, dass wir drei Kernkraftwerke durch eines der neuen Generation ersetzt hätten. Ich bin überzeugt, dass das nicht schlau gewesen wäre und extrem viel gekostet hätte.
Ich muss immer wieder betonen: Wenn es um den Atommüll geht, haben wir bis heute keine Lösung. Insofern ist es gut zu wissen, dass wir für die bestehenden Abfälle verantwortlich sind, jedoch keine neuen dazu kommen.
Der Atomausstieg war rückblickend richtig. Er war unbestritten eine Zäsur in der Energiepolitik. Aber die Schweiz hat genug Möglichkeiten für erneuerbare Energien. Zudem kann unsere Versorgungssicherheit auch ohne Kernkraft gewährleistet werden.
Nau.ch: Bei aller Tragik des Unglücks hatte Fukushima aus Ihrer Sicht also auch etwas positiv Aufrüttelndes?
Doris Leuthard: Ja. Das ist ähnlich wie mit der Corona-Pandemie. So grosse Katastrophen und Ereignisse führen zu neuen Analysen, Wegen und Lernprozessen. Wir schulden der Bevölkerung immer wieder Verbesserungs- und Optimierungsansätze.
Energie- und Umweltpolitik trafen sich im Zuge Fukushimas auf einem guten gemeinsamen Nenner. Man konnte die Weichen neu stellen für eine emissionsarme Zukunft.