Drittes Geschlecht: Was kann Nemo bei Jans-Treffen erreichen?
Nemo will bei Bundesrat Beat Jans für die Einführung einer dritten Geschlechtsoption auf amtlichen Dokumenten weibeln – wie stehen die Erfolgschancen hierfür?
Das Wichtigste in Kürze
- Nemo trifft sich mit Beat Jans, um für die Rechte von non-binären Personen zu weibeln.
- Claude Longchamp sieht Jans in der Frage offensiver positioniert als seine Vorgänger.
- Dennoch zeichne sich ein klarer parteipolitischer Konflikt ab, wie der Politologe betont.
- Das Transgender Network Switzerland ist zuversichtlich, dass sich bald etwas ändert.
Nemo schreibt Geschichte! Das non-binäre Musiktalent holt den ESC-Pokal zum ersten Mal seit 1988 in die Schweiz – ESC-Fans sind aus dem Häuschen.
Nemo hatte sich im vergangenen November als non-binär geoutet – identifiziert sich also weder als Mann noch als Frau. Das Musiktalent hatte nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass das Siegerlied «The Code» auch ein politisches Statement beinhalte: Es sei inakzeptabel, dass non-binäre Menschen ihr Geschlecht hierzulande juristisch nicht offiziell anerkennen lassen können – für Nemo ein No-Go.
Treffen mit dem Justizminister geplant
Deshalb steht nach dem ESC-Exploit im schwedischen Malmö bereits der nächste hochkarätige Termin im Kalender von Nemo: Bald will Nemo sich persönlich mit Justizminister Beat Jans treffen – und für eine bessere Anerkennung von non-binären Menschen weibeln.
Denn hierzulande existiert auf nationaler Ebene keine dritte Geschlechtsoption in amtlichen Dokumenten: Im Dezember 2023 hatte der Bundesrat in einem Bericht erklärt, dass die Schweizer Rechtsordnung auf dem binären Geschlechtermodell beruhe. Eine Abkehr davon hätte demnach «weitreichende Konsequenzen» – auf sämtlichen Gesetzesebenen müssten unzählige Gesetzestexte angepasst werden.
Entsprechend müsste eine allfällige Änderung sorgfältig geplant und umgesetzt werden, um Rechtsunsicherheiten zu vermeiden, erklärte der Bundesrat. Das binäre Geschlechtermodell (Mann/Frau) wiederum sei in der Gesellschaft noch immer tief verankert. Die weitreichenden Konsequenzen einer allfälligen Abkehr seien im gesellschaftlichen Diskurs bisher noch kaum thematisiert worden.
Politologe Claude Longchamp ordnet ein
Für Politologe Claude Longchamp steht fest, dass der ESC-Triumph zum günstigsten Zeitpunkt komme – die Situation sei heute «doppelt neu»: Mit Beat Jans habe das EJPD einen neuen Vorsteher, mit Nemo wiederum habe die Bewegung einen neuen Kommunikator.
«Beides sorgt für einen hohen Neuigkeitswert, was ein Themenfenster für weitere Diskussionen öffnen dürfte», erklärt der Politikwissenschaftler gegenüber Nau.ch. Ob dies allerdings zu einer anderen Beurteilung führen werde, könne man Stand heute nicht mit abschliessender Sicherheit beurteilen.
Ähnlich wie der Bundesrat ist auch Longchamp überzeugt, dass die gesamte Diskussion hierzulande noch in den Kinderschuhen stecke: Kürzlich wurde vor diesem Hintergrund zwar die Änderung des binären Geschlechtseintrags vereinfacht. Ein Geschlechtseintrag für non-binäre Personen hingegen sei hierzulande derzeit noch in weiter Ferne, erklärt Longchamp.
Druck wird erhöht
Derzeit feierten Genderfragen aber wieder Hochkonjunktur – ein hochkarätiger Besuch beim Bundesrat könne Medienaufmerksamkeit und Sympathie auf jeden Fall befeuern: «Das befördert in aller Regel auch Vorstösse im Parlament, was wiederum den Druck erhöht», so Longchamp.
Gleichzeitig zeichne sich in dieser Thematik ein parteipolitischer Konflikt ab: «Skeptiker argumentieren, es gäbe nur zwei Geschlechter. Eine Änderung wiederum habe demnach weitreichende gesellschaftliche Folgen, beispielsweise im Sport oder bei den Sozialversicherungen.» Entsprechend sei absehbar, dass die Gerichte in dieser Frage eine entscheidende Rolle einnehmen werden.
Auch für Jans stelle der Diskurs eine Chance dar, wie Longchamp betont: «Er hat in den ersten Monaten verkündet, Probleme anpacken zu wollen und als neue Kraft neue Lösungen zu suchen. Das kann er auch mit diesem Thema aufzeigen.»
Deshalb stelle sich Jans der kommenden Debatte viel proaktiver und offensiver, als dies insbesondere Karin Keller-Sutter als Justizministerin getan hatte. Auch der Blick in die Vergangenheit des Stadtbaslers zeigt, dass Nemo durchaus auf ein offenes Ohr stossen könnte: Im Kanton Basel-Stadt hatte Jans ein neues Gleichstellungsgesetz lanciert. Es soll nicht nur vor Diskriminierung aufgrund des Geschlechts schützen, sondern auch aufgrund der sexuellen Orientierung. Ferner schreibt es vor, dass die Gleichstellung auch Transpersonen und non-binäre oder intergeschlechtliche Personen einschliesst.
Gleichzeitig sei der Kampf für Nemo und Jans derzeit aber alles andere als entschieden: «Ob er im Bundesrat und Parlament damit durchkommt, bleibt offen. Denn da entscheiden FDP, Mitte und GLP über eine Mehrheit.»
TGNS ist zuversichtlich
Ähnliche Töne stimmt Sandro Niederer vom Transgender Network Schweiz (TGNS) an: «Bundesrat Beat Jans hat nach Amtsantritt versprochen, mögliche Massnahmen zu prüfen, um den Alltag von non-binären Personen diskriminierungsfreier zu gestalten. Wir hoffen, dass der Bundesrat jetzt sein Wort hält!»
Mit seinem Auftritt und Sieg beim ESC habe Nemo überdies bereits einiges erreicht, wie Niederer betont: «Die Aufmerksamkeit auf die aktuellen Missstände ist ein erster Schritt, damit sich in der Schweiz endlich etwas verändert.»