Einer wie wir: Auch der Bund hat keine Ahnung von Recycling
Trotz Millionen-Gebühren: Der Bund weiss nicht so genau, ob z.B. Elektroschrott sinnvoll rezykliert wird. Ein Kommentar.
Das Wichtigste in Kürze
- Werden die vorgezogenen Recyclinggebühren sinnvoll verwendet? Der Bund tappt im Dunkeln.
- Ist etwa sogar unser Recycling-Weltmeistertitel in Gefahr?
- Leider Ja. Oder auch nicht. Aber wollen wir das so genau wissen?
Die Schweiz schmückt sich gerne selbst mit dem Titel «Recycling-Weltmeister». Das Problem dabei: Es gibt gar keine Recycling-WM, wir können also die Regeln auch gleich selbst machen. Das Problem dabei: Wir wissen gar nicht, was wir tun – aber immerhin wissen wir das, dank einer Untersuchung der Eidgenössischen Finanzkontrolle.
Wir sind eben die Besten
Denn wenn wir etwas können, ist es Genauigkeit. Darum hat die EFK sehr genau festgestellt, wie ungenau unser Wissen über das eigene Recycling ist. Wir geben zwar, beispielsweise, 176 Millionen Franken aus für die Entsorgung und das Recycling von Glas, Batterien und Elektrogeräten. Wir wissen auch sehr genau, wie viele Tonnen Elektroschrott wir eingesammelt haben.
Wir wissen auch sehr genau, warum der Bund nicht weiss, was mit diesen Franken und Tonnen geschieht: Es ist Sache der Kantone. Werden aus alten Handys die Edelmetalle geholt und aus alten Waschmaschinen die Plastikteile aussortiert? Oh ja, es wird alles «verwertet», aber wie viel davon «thermisch», lies: in der Kehrichtverbrennungsanlage? Das weiss weder das Bundesamt für Umwelt, welches solches kontrollieren sollte, noch konnten dies die Schnüffler von der EFK eruieren.
Dann… sind wir vielleicht gar nicht Recycling-Weltmeister, sogar wenn wir die Regeln selbst machen? Kurze Antwort: Es ist kompliziert. Lange Antwort: Nein, aber irgendwie auch Ja.
Die sensationellen Recycling-Raten bei Aluminium (94%), Glas (94%) oder PET (81%) werden teilweise von anderen Ländern übertroffen. Trotzdem erscheint die Schweiz in der Statistik der OECD auf dem Spitzenplatz. Weil kein anderes Land restlos alles nicht-rezyklierte entweder kompostiert oder wenigstens verbrennt. Es ist eine Frage der Definition, man könnte auch sagen: der selbstdefinierten WM-Regeln.
Der Bund ist in bester Gesellschaft: unserer
Nun wäre es sicher besser, wenn das Bundesamt für Umwelt auch eine Ahnung hätte: Ob nämlich mit den Millionen Franken vorgezogener Recyclinggebühr nichts Ungezogenes oder Ungebührliches finanziert wird. Die Untaten dürften sich in engen Grenzen halten, aber wir würden trotzdem gerne wissen, was wir tun.
Allzu laut kritisieren mag man den Bund deswegen nicht. Mit seiner bedingt vollständigen Ahnung von Recycling begegnet er uns wenigstens auf Augenhöhe. Das beweisen verwaiste Glasflaschen neben der PET-Sammelstelle und henkellose Tassen im Glascontainer. Oder faustgrosse Steine neben Frischziegel-Steckschaum in der Grünabfuhr.
Wer ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein – aber bitte nicht, während man im Glashaus sitzt. Die resultierende Sauerei wäre ein recycling-technischer Scherbenhaufen. Das wissen Sie doch ganz genau.