«Giacometti-Initiative» will Referendumsrechte stärken
Die Bundesversammlung greift vermehrt zu dringlichen Bundesgesetzen: Deshalb soll die «Giacometti-Initiative» die Referendumsrechte der Bevölkerung stärken.
Das Wichtigste in Kürze
- Jüngst greifen Bundesrat und Parlament immer häufiger zu dringlichen Bundesgesetzen.
- Eine Volksinitiative will Abhilfe schaffen: Dringliche Bundesgesetze sollen vors Volk.
- Initiant Alexandre Zindel erklärt, weshalb diese Stärkung des Referendumsrechts nötig sei.
- Die Unterschriftensammlung für die «Giacometti-Initiative» läuft bis zum 25. Juli 2023.
Die direkte Demokratie stellt eine der grössten Besonderheiten im politischen System der Schweiz dar: Durch sie erhält das hiesige Stimmvolk mehr demokratische Mitgestaltungsrechte, als die überwiegende Mehrheit der Weltbevölkerung. Kern dieser Mitgestaltung bilden die Instrumente der Initiative und des Referendums.
Im Gegensatz zu vielen anderen können Schweizer folglich nicht nur periodisch ihre Volksvertreter wählen: Regelmässig haben sie auch in Sachabstimmungen das letzte Wort – drei bis viermal pro Jahr. Unter dem Damoklesschwert der Referendumsdrohung müssen Regierung und Parlament auf einen möglichst breiten Konsens hinarbeiten. Zieht die Unzufriedenheit nämlich zu weite Kreise, stehen die Chancen gut, dass die Stimmbevölkerung ein Anliegen an der Urne versenkt.
Das Instrument der dringlichen Bundesgesetze wiederum kann gewissermassen als Gegenstück dazu verstanden werden. Es bietet der eidgenössischen Bundesversammlung eine Möglichkeit, dem Referendumsrecht die Zähne zu ziehen: Erklären Mehrheiten in jedem Rat ein Bundesgesetz für dringlich, tritt es sofort in Kraft. Eine allfällige Volksabstimmung darüber findet – wenn überhaupt – dann erst Monate später statt.
Die «Giacometti-Initiative» will Referendumsrechte stärken
An dieser Stelle setzt die eidgenössische Volksinitiative «Volk und Stände entscheiden über dringlich erklärte Bundesgesetze» – kurz «Giacometti-Initiative» – an: «Wenn das Volk erst Monate nach Inkrafttreten eines Bundesgesetzes darüber abstimmen kann, ist der Mist längst geführt.» Die Bevölkerung hätte sich bis zum Abstimmungszeitpunkt bereits an die neue Regelung gewohnt, erklärt Initiant Alexandre Zindel.
Auf diese Weise könnten Bundesrat und Parlament Fakten schaffen, welche die Ausgangslage vor einer Volksabstimmung zu ihren Gunsten veränderten. Die Referendumsdrohung sei aber ein unglaublich wirksames Instrument, um politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Interessen im Gesetzgebungsverfahren auszubalancieren. Das Kernanliegen der «Giacometti-Initiative» sei es daher, dieses Instrument wieder zu schärfen, so Zindel.
Dringliche Bundesgesetze innert 100 Tagen vors Volk
Die «Giacometti-Initiative» verlangt, dass dringlich erklärte Bundesgesetze nach Annahme durch die Bundesversammlung der Stimmbevölkerung obligatorisch zur Abstimmung unterbreitet werden. Ansonsten trete das Gesetz nach Ablauf einer 100-tägigen Frist wieder ausser Kraft.
Dank dieser 100-tägigen «Schonfrist» könnten Rechtsunsicherheiten vermieden werden. Ferner betont der Initiant, dass die bundesrätlichen Notrechtsbefugnisse von seiner Initiative in keiner Weise tangiert würden: Per Notrecht könne die Landesregierung in Krisensituationen nach wie vor sechs Monate lang durchregieren.
Zindel hebt hervor, dass dringliche Bundesgesetze nicht per se ungerechtfertigt seien. Er sei aber überzeugt, dass das Volk frei und insbesondere zeitgerecht über dieselben entscheiden sollte. Überdies müsse sich die Bundesversammlung bereits vor einem Dringlichkeitsentscheid vor Augen führen, dass die Vorlage letztlich vors Volk kommen werde. Auf diese Weise müssten entsprechende Gesetze von Beginn weg mehrheitsfähig ausgestaltet werden, erklärt der Jurist.
In den letzten Jahren habe die Bundesversammlung nämlich immer häufiger zu diesem Instrument gegriffen. Tatsächlich ist eine deutliche Zunahme zu verzeichnen: Zwischen 2000 und 2019 hat die Bundesversammlung 29 dringliche Bundesgesetze verabschiedet, während allein seit 2019 deren 20 weitere hinzukamen.
Sammelfrist läuft noch bis zum 25. Juli 2023
Die Sammelfrist für die «Giacometti-Initiative» läuft noch bis zum 25. Juli 2023. Der derzeitige Stand sei schwer abzuschätzen, erklärt Zindel. «Ich denke, dass ich aktuell um die 50'000 Unterschriften habe.»
Trotzdem zeigt sich der Jurist optimistisch: «Wie man hier im Welschland sagt: Il n'y a pas le feu au lac!», sinngemäss bedeutet dies etwa «nur keine Eile». Insgesamt verlaufe die Unterschriftensammlung allerdings relativ schwerfällig – wohl auch, weil sich die Medien grösstenteils gegen eine Berichterstattung entschieden hätten.
Dies führt Zindel auf drei Faktoren zurück. Einerseits gehe es bei der «Giacometti-Initiative» nicht um wirtschaftliche oder ideologische Interessen. «Eine Stärkung der Volksrechte ist leider für die grossen Parteien, Vereine und Medienhäuser nicht ‹sexy› genug», schmunzelt Zindel.
Andererseits hätten viele Akteure in Wirtschaft, Politik und Medienlandschaft kein Interesse daran, die Volksrechte zu stärken. Schliesslich werde er als Initiant auch schnell in bestimmte Schubladen gesteckt. Zindel gehe es jedoch einzig um die Stärkung des Referendumsrechts und die damit verbundene Stärkung der demokratischen Legitimität politischen Handelns.
«Ich bin weder links noch rechts – ohnehin ist meine Person irrelevant. Ich bin ein Bürger, der auf einer Bank am See sitzt und sich überlegt, wie die Verfassung verbessert werden könnte.» Genau diese Tatsache mache die Einzigartigkeit des politischen Systems der Schweiz aus und habe ihn zu dieser Initiative bewogen.