Kaum Bundesrats-Kandidaturen: Sind die Grünen auf dem Holzweg?
Die Grünen wollen in den Bundesrat, aber kaum jemand kandidiert. Das sieht nach Zwängerei aus. Ein Kommentar.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Grünen wollen für einen Bundesratssitz kandidieren – schon wieder.
- Doch die meisten infrage kommenden Personen sagen ab.
- Ganz abgesehen davon, dass noch keine Grünen-Kandidatur erfolgreich war. Ein Kommentar.
Am 13. Dezember ist der grosse Tag: Die Schweiz erhält aus der SP ein neues Mitglied des Bundesrats. Oder sogar zwei? Immerhin wollen die Grünen auf Kosten der FDP endlich in die Landesregierung einziehen. Bis heute hätten willige Grüne Zeit, sich zu melden.
Aber statt Öko-Schaulaufen, während die SP-Kandidaten sich im stillen Kämmerchen auf Hearings vorbereiten, gibt es nur Grillenzirpen: Einzig der Freiburger Nationalrat Gerhard Andrey wagt sich aus der Deckung. Selbst ohne parteiinterne Konkurrenz ist er völlig chancenlos. Andere winken ab, wollen sich wohl nicht verheizen lassen. Macht die ganze Übung denn wirklich Sinn?
Grüne Bundesrats-Kandidaturen: Schon fast traditionell
Schliesslich haben es die Grünen schon zig mal versucht und noch jedes Mal eins auf den Deckel bekommen. 2019 mit der damaligen Parteipräsidentin Regula Rytz. 2011 und 2007, mit Rückzug in letzter Minute im Rahmen des Geheimplans Blocherabwahl, mit Luc Recordon. Dazwischen 2010 mit Birgit Wyss. Damals hatten die Grünen 9,6 Prozent Wähleranteil – also ähnlich viel oder wenig wie jetzt.
Aber schon 2003 mit der damaligen Präsidentin Ruth Genner, 2000 (Cécile Bühlmann), 1995 (vier Kandidatinnen) und 1991 (Leni Robert) traten die Grünen an. Man sollte meinen, sie hätten es mittlerweile gelernt: Der Bundesrat ist farbtechnisch ausgebucht. Aber das wäre zu kurz gedacht.
Dreiviertel-Bundesräte: Immer noch besser als ein «halber Bundesrat»
Es gibt mindestens zwei Aspekte zu bedenken. «Leider» hat es nur sieben Bundesratssitze, das heisst nach Abzug von Kleinstparteien gibt es für etwa 12 Prozent Wähleranteil einen Sitz. Das geht natürlich nie auf, weil sich das Stimmvolk beim Wählen nicht an die 12er-Reihe hält. Die SP hätte so eher anderthalb Sitze, die FDP und Mitte nur wenig mehr als einen. Die Grünen und Grünliberalen dürften je einen Dreiviertel-Bundesrat stellen.
Es gibt Gründe, warum die Grünen einen Anspruch geltend machen können (nicht nur nach diesen Wahlen), es gibt Gründe, die dagegensprechen. Zum Beispiel die Kontinuität und Stabilität, derer sich die Schweiz gerne rühmt. Natürlich interpretieren die Grünen die Ausgangslage zu ihrem Vorteil, und das ist ihr gutes Recht. Dass die «Zauberformel» längst entzaubert ist, dafür können weder Sie noch ich noch Balthasar Glättli etwas.
Schliesslich geht es hier um Demokratie, also darf jede und jeder kandidieren. So gesehen hat es nicht zu viele Bundesratskandidaturen der Grünen, sondern zu wenige Bundesratskandidaturen von Parteilosen und Nichtwählenden. Gerhard Andrey soll ruhig antreten – mit einer Einerkandidatur gibt es wenigstens nicht so ein Beziehungsdrama wie bei der SP mit ihren sechs Möchtegern-Bersets.
Alle wollen nur spielen
Andererseits muss Erfolglosigkeit ja nicht zwangsläufig in Niedergeschlagenheit und Selbstaufgabe münden. Ich erinnere mich an den Kommentator eine Basketballspiels, der das sehr schön zusammengefasst hat. Leider erinnere ich mich nicht mehr, ob es um einen Spieler der Goldklümpchen aus Denver, der Kelten aus Boston oder der Kniehosen aus New York ging. Jedenfalls schaffte er es, ein halbes Dutzend Würfe von der Dreipunkte-Linie weit neben den Korb zu setzen.
«Was macht man, wenn man wirft und einfach nicht trifft», fragte der Kenner der Materie aus dem Fernsehgerät: «Weiterwerfen!» Der Mann hat recht, schliesslich steht der Spieler genau dazu auf dem Spielfeld und nicht, weil er so schön traurig gucken kann. Solange er nicht ausgewechselt wird, hat er das Vertrauen des Coaches.
Der Coach der Grünen wäre in dem Fall ja wohl das Stimmvolk, oder zumindest 9,8 Prozent davon. Über die Jahrzehnte betrachtet sieht es nicht nach baldiger Auswechslung aus, auch wenn sich am Spielfeldrand immer wieder ein paar neue Konkurrenten warmlaufen. Selbstredend könnte man auch eine defensivere Taktik wählen, aber wenn nicht, lautet die Devise: «Weiterkandidieren!»
Der betreffende Spieler hat das jedenfalls so gehandhabt. Und noch drei, vier Mal den Ball nicht im Basket untergebracht. Er war der Gerhard Andrey des Sports.