Lohnerhöhung: Haben wir das verdient?
Der Gewerkschaftsbund fordert Lohnerhöhungen, die Arbeitgeber winken ab. Wo liegt das Problem? Ein Kommentar.
Das Wichtigste in Kürze
- Wie jedes Jahr fordert der SGB Lohnerhöhungen.
- Aber dieses Jahr sind sie besonders gerechtfertigt, weil alles anders ist.
- Oder auch nicht. Ein Kommentar.
Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) fordert dieses Jahr Lohnerhöhungen von fünf Prozent, was bedeutet, dass auch der Lohnherbst dem Klimawandel zum Opfer fällt: Er wird noch heisser als sonst. Dabei hat der SGB gute Gründe für seine Forderungen, sagt SGB-Chefökonom Daniel Lampart. Die Produktivität ist gestiegen, die Teuerung, die Krankenkassenprämien, die Mieten, die Konjunktur, und überhaupt: Wir haben das verdient.
«Wir», das sind die anderen
Haben wir? Der Arbeitgeberverband sagt, vergleichsweise stimme dies eben alles gar nicht. Warum müssen wir Jahr für Jahr um die Lohnerhöhung kämpfen? Also, wenn ich schreibe wir, mein ich natürlich diejenigen auf dem Bau und im Detailhandel und an den Patientenbetten und am Lehrerpult.
Nicht «wir», die Journalisten, weil wir haben es ja verhältnismässig bequem in unseren stets klimatisierten Büros und bekommen unseren Lohn direkt vom Staat, wenn nicht sogar vom Bund. Jedenfalls theoretisch, hab ich gehört, äh, gelesen natürlich. Grad nachdem ich es geschrieben hatte.
Historisch betrachtet
Warum also ist das so ein Heidenzeug mit den Löhnen? Es lohnt sich einen Blick in die Vergangenheit zu werfen. Und wenn ich sage «Blick», meine ich natürlich nicht die Konkurrenz. Blicken und hören wir SGB-Chefökonom Daniel Lampart an und zu, in der Vergangenheit.
Haben Sie es gemerkt? Ja, Daniel Lampart wird nicht jedes Jahr jünger. Aber sonst bleibt sich alles gleich.
Jedes Jahr steigt die Produktivität, die Wirtschaft läuft gut, die Teuerung bestätigt mit Ausnahmen die Regel (das vergisst man oft), die Krankenkassenprämien laufen noch viel besser, nur die Kaufkraft und die Reallöhne kränkeln. Seit Jahrzehnten.
Carpe diem
Aber das hilft alles nichts. Denn Daniel Lampart sagt es deutsch und deutlich: Jetzt braucht es Lohnerhöhungen!
Jetzt. Schon 2010, 2011, 2012 und 2022. Ich verpasse es jedes Mal. Und wenn ich «ich» schreibe, meine ich «wir».