Longchamp zum 2025: «Rechte Initiativen werden mehrheitsfähig»
Politologe Claude Longchamp blickt voraus auf das kommende Jahr. Er sieht eine Tendenz zu positiv aufgenommenen Initiativen – auch vom Bundesrat.
Das Wichtigste in Kürze
- Rechtspopulistische Tendenzen allenthalben in den Nachbarländern – und in der Schweiz?
- Claude Longchamp sieht für 2025 vor allem eine neue Tendenz: Volksinitiativen mit Chancen.
- Neu sei auch, dass der Bundesrat Teile von Initiativen schnell umsetze.
In unseren Nachbarländern sind die rechtspopulistischen Tendenzen offensichtlich. Angefangen beim Rassemblement National von Marine Le Pen in Frankreich, das im Parlament die grösste Fraktion stellt. In Österreich hat die FPÖ die Wahlen gewonnen und soll nun auch die Regierungskoalition anführen.
In Deutschland herrscht Hochspannung: Wie wird die AfD bei den Wahlen am 23. Februar abschneiden? Und in Italien regiert Giorgia Meloni von den rechtsnationalen Fratelli d’Italia schon seit 2022.
Nur in der Schweiz wird es noch länger keine Wahlen geben – aber dafür sind zahlreiche Initiativen hängig. Bei diesen stellt Politologe Claude Longchamp eine neue Situation fest.
2025 ist alles anders
Bis jetzt sei es immer etwa nach dem gleichen Muster abgelaufen: Linke Initiativen landeten ab und zu einen Glückstreffer und erzielten eine Mehrheit, werden aber meistens klar abgelehnt.
«Dann gab es die SVP-Initiativen», resümiert Longchamp. Vor denen habe man jeweils relativ viel Angst, weil man davon ausgeht, dass sie angenommen werden könnten. Aber von anderen rechten politischen Kräften gab es keine Initiativen.
Und jetzt, 2025: «Jetzt ist alles anders. Wir haben grad einen Kratten voll von Initiativen. Diese sind im politischen Prozess zum Teil schon sehr weit und bestimmen durchaus die Politik mit.»
Rechte Initiativen, ganz ohne SVP
Zum Beispiel die Individualbesteuerung, eine Initiative der FDP-Frauen. Diese sei im Parlament auf sehr weit offene Türen gestossen.
Vors Volk komme sie noch dieses oder Anfang nächstes Jahr, entweder die Initiative selbst oder der Gegenvorschlag. «Annahme-Chancen: gegeben», so die Prognose von Politologe Longchamp.
Weiter die «Bargeld-Initiative» der Freiheitlichen Bewegung Schweiz: «Die kennen die meisten wahrscheinlich gar nicht», vermutet Claude Longchamp. «Das ist eine Bewegung, die eigentlich aus der Pandemie-Diskussion heraus entstanden ist und sich nun ein neues Thema geangelt hat: den Schweizer Franken.»
Dieser soll immer unsere Währung bleiben und es soll immer Bargeld geben. «Eine durchaus populäre Forderung, die im Parlament fast durchgeschlüpft ist!» Dies sowohl im Bundesrat als auch im Parlament, nur minimale Retuschen seien am Initiativ-Text angebracht worden: «Es soll jetzt ‹Schweizer Franken› heissen statt ‹Franken›.»
«Plötzlich ist das mehrheitsfähig», hält der Politologe fest. «Das sind ganz neue Phänomene, da muss man gar nicht erst bei der SVP schauen gehen.»
Bundesrat mit vorauseilendem Gehorsam
Es gebe aber noch ein weiteres Novum, fährt Longchamp fort, und hier kommt die SVP wieder ins Spiel. Nämlich, dass der rechte Bundesrat auf rechte Initiativen wohlwollend reagiere.
Im Zentrum steht Bundesrat Albert Rösti – in der Beurteilung Longchamps ein Bundesrat neuen Typs: jünger und unbefangener in solchen Fragen.
«Er sagt bei der ‹Blackout stoppen›-Initiative, die die Kernenergie wieder einführen will: ‹Da brauche ich nicht lange zu überlegen, das realisieren wir, und zwar auf dem Verordnungsweg. Das kann ich alles selbst bestimmen.›»
Dasselbe Vorgehen stellt Claude Longchamp bei der Halbierungsinitiative der SVP fest. Rösti habe sich gesagt: «‹Ich mache einen Gegenvorschlag auf dem Verordnungsweg und frage nicht das Parlament, sondern umgehe es. Ich mache das grad selber, und zwar schnell.›»
Bislang sei dies anders gelaufen: «Wurde eine Initiative eingereicht, ging es vier Jahre – eine lange Zeit. Und jetzt zwei, drei Wochen! Und schon weiss man, wie das politische Programm des Bundesrats aussieht.»
Dies sei in dieser Form neu. Man könne gar von einer rechten Offensive reden, die auf offene Türen stosse.
Initiativen mit guten bis sehr guten Chancen
Und dies auch beim Stimmvolk: «Alle haben gewisse, zum Teil auch sehr gute Chancen. Sie sind, wie die Bargeld-Initiative, anschaulich, konkret. Sie gehen in den Alltag, das sind Kriterien, die ausmachen, dass eine Initiative potenziell annahmefähig ist.»
Eine etwas schwierigere Angelegenheit sei die Individualbesteuerung. Diese sei politisch umstrittener, weil sich die bürgerlichen Kräfte nicht einig seien, und sie sei technischer.
Weniger zuversichtlich ist Claude Longchamp bezüglich der Wiedereinführung der Kernenergie. «Wir haben immerhin schon das Umgekehrte beschlossen», gibt er zu bedenken. Auch bei der SRG-Initiative stehe es eher fifty-fifty.
Die Volksbegehren kämen aber nicht exklusiv von rechts. Longchamp verweist auf die Feuerwerk-Initiative und die Stopfleber-Initiative. «Alle sind konkret, anschaulich, überparteilich und haben durchaus eine Chance.»
Schweiz: Rechtsextremismus nein, Rechtspopulismus vielleicht
Angesichts dieses Feuerwerks an anstehenden Initiativen: Liegt es vielleicht an deren Ventil-Effekt, dass Gruppierungen von ganz rechts weniger aufblühen als in Nachbarländern?
Der Politologe Claude Longchamp unterscheidet klar zwischen Rechtsextremismus und Rechtspopulismus. Rechtsextreme Tendenzen hätten in der Schweiz in der Regel keine Chance. «Das kann sich vielleicht die Junge SVP am Rande leisten, das kann sich eine PNOS leisten. Aber sie bleiben damit Aussenseiter.»
Rechtspopulistische Tendenzen seien viel differenzierter anzuschauen. Diese seien nicht nur ein Phänomen von Bewegungen, sondern vor allem von Parteien im Verbund mit Teilen der Medien. «Sie mobilisieren den unzufriedenen, wütenden Bürger, und dies, denke ich, wird in der Schweiz durchaus seine Chancen haben.»
Begünstigt werde dies durch die aktuellen Umbruchzeiten, wenn es in eine neue, unbekannte Richtung geht und manchmal etwas kompliziert wird. Da seien Bewegungen chancenreich, die das Einfache, das Schnelle versprechen. «Aber ich würde auch klar sagen: Es muss eine Abgrenzung geben zum Rechtsextremismus.»