Longchamp zur Stempelsteuer: «Für die SP geht es um mehr»
SP und Grüne wollen per Abstimmung im Februar die Abschaffung der Stempelsteuer verhindern. Für die Sozialdemokraten steht dabei aber viel mehr auf dem Spiel.
Das Wichtigste in Kürze
- Eine bürgerliche Mehrheit im Parlament will die Stempelsteuer abschaffen.
- SP, Grüne und Gewerkschaften haben das Referendum dagegen ergriffen.
- Politologe Claude Longchamp analysiert die Positionen und geht von einem offenen Ende aus.
Am 13. Februar 2022 stimmt die Schweiz über die Aufhebung der Stempelabgabe ab, einem bürgerlichen und liberalen Ziel. Ein linkes Komitee aus SP, Grünen und Gewerkschaften hat das Referendum ergriffen.
Die Stempelabgabe fällt an, wenn ein Unternehmen Eigenkapital beschafft, indem es Aktien oder dergleichen ausgibt. Damit kann die Firma beispielsweise Investitionen tätigen oder Verluste decken. Die Steuer beträgt ein Prozent des aufgenommenen Kapitals und wird erst auf Beträgen über einer Million Franken erhoben.
Argumente für Abschaffung
«Die Stempelabgabe gibt es bereits seit längerer Zeit, und sie ist auch seit Längerem umstritten», erklärt Politologe Claude Longchamp. Mit der Revision des Gesetzes wollen Bundesrat und Parlament die Abgabe gänzlich abschaffen. Die Grundidee dahinter laute: In einer globalen Wirtschaft soll man Unternehmen keine steuerlichen Hindernisse in den Weg legen.
Ein weiteres Argument lautet, die Senkung der Investitionskosten wirke sich positiv auf Wachstum und Arbeitsplätze aus. Zudem kämen Unternehmen mit viel Eigenkapital besser durch Krisen als Unternehmen mit wenig Eigenkapital, weil sie mehr Reserven haben.
Die Bürgerlichen argumentierten ausserdem, die Wirtschaft brauche nun für die Neulancierung nach der Corona-Krise Erleichterungen.
Argumente gegen die Abschaffung
Da die Emissionsabgabe erst ab Beträgen über einer Million anfällt, seien vor allem grosse Unternehmen betroffen, erklärt Longchamp. Mit der Abschaffung entstünden dem Bund Mindereinnahmen von schätzungsweise 250 Millionen Franken pro Jahr. Die Hälfte davon würde auf Entlastungen für die 50 grössten, mehrheitlich gut situierten Unternehmen zurückgehen.
Die Corona-Pandemie habe gezeigt, wie wichtig Solidarität sei. Doch in der Krise hätten vor allem kleine Unternehmen gelitten, die Reichen seien hingegen noch reicher geworden. Der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Polarisierung müsse man Gegensteuer geben, erklärt Longchamp das Argument der Linken.
SP will Staatsabbau von rechts verhindern
Die SP war bei der Lancierung des Referendums federführend. Sie stellt ihren Kampf gegen die Abschaffung der Stempelabgabe in einen grösseren Kontext: Sie will der rechtsbürgerlichen Mehrheit mit der Abstimmung den Riegel vorschieben und einen Staatsabbau von rechts verhindern. Dafür ist die SP bereit, auch gegen andere Vorlagen mit dem Referendum vorzugehen. So bei der AHV-Reform, bei der Senkung des Umwandlungssatzes beim BVG und weiteren.
Bereits vor vier Jahren habe die SP diese Strategie erfolgreich angewendet, schaut Longchamp zurück. «Als Reaktion auf die rechte Mehrheit im Nationalrat hat man damals sehr demonstrativ das Referendum bei der Unternehmenssteuer-Reform ergriffen. Und zur Überraschung hat man das Referendum auch gewonnen.»
Doch nun sei die Situation anders als bei der Abstimmung 2017. Die Sozialdemokraten befänden sich nach dem rechtsbürgerlichen Wahlsieg 2014 in der Defensive. Wenn die SP gewinnt, lanciert sie sich für die zweite Legislatur-Periode. Bei einer Niederlage kommt es aber zum Machtkampf gegen die Grünen, der die Linke insgesamt schwächen könnte.
Ein Abstimmungssieg am 13. Februar 2022 würde dieser linken Opposition Auftrieb verleihen – eine Niederlage würde die SP hingegen in arge Schwierigkeiten bringen. Es ist deshalb zu erwarten, dass die SP in diesem Abstimmungskampf alles geben wird.
Abstimmung: Politologe sieht leichte Vorteile auf der Ja-Seite
Sowohl im Nationalrat (120 zu 79) wie auch im Ständerat (29 zu 14) überwogen die Ja-Stimmen. Gegen die Vorlage stimmten geschlossen die Grünen und die SP sowie die EVP. Hochgerechnet ergibt das Ergebnis im Nationalrat einen Schätzwert von 58 Prozent Ja-Stimmen für die Abstimmung.
Claude Longchamp taxiert den Ausgang der Abstimmung vorerst als offen, wenn auch mit leichten Vorteilen für die Ja Seite. Entscheidend dürfte sein, ob sich eine erweiterte Opposition rund um die SP und die Grünen formiert, so der Politologe. 2017 hätten sie Unterstützung von Städten und Kantonen erhalten, die Steuerausfälle verhindern wollten.