Maskenpflicht im ÖV: Soll der Bundesrat entscheiden?
Wir haben aus der Pandemie gelernt: Jetzt sorgt die Maskenpflicht schon für Aufruhr, bevor sie überhaupt angeordnet wurde. Ein Kommentar.
Das Wichtigste in Kürze
- Neu soll der Bundesrat über die Maskenpflicht im ÖV entscheiden.
- Dies sorgt für emotionale Reaktionen.
- Vollkommen zurecht, je nach Blickwinkel. Ein Kommentar.
Sie erinnern sich bestimmt: In einigen Spitälern trägt das Personal bei Patientenkontakt wieder Maske. «Ach ja?», höre ich mich schon wieder ausrufen. «In einigen Spitälern!?!»
Genau, in einigen. In den Unispitälern von Bern, Basel, Zürich, Lausanne. Im Kantonsspital Baden aber schon eine Woche davor, im Kantonsspital Aarau und anderen Aargauer Spitälern wiederum gar nicht. In den Kantonsspitälern von Sankt Gallen und Luzern auch nicht, in Schaffhausen schon, in Graubünden «teilweise».
Haben wir denn aus der Pandemie nicht gelernt, dass es dem Coronavirus egal ist, ob es gerade vor einem Unispital-Empfangsdesk oder in der Urologie-Abteilung einer Privatklinik den Aerosol-Grenzwert in den roten Bereich bugsiert? Arbeiten in Luzern bessere Menschen als in Schaffhausen, oder umgekehrt, und was für zwischenmenschliche Wesen hat Graubünden zu bieten? Was macht es denn für einen Sinn, wenn das Personal Maske trägt, aber Hinz und Kunz und vor allem die Patienten nicht?
Ein Intermezzo
Szenenwechsel: Ich war jung und brauchte kein Geld, aber, man glaubt es kaum, habe trotzdem unvernünftige Dinge getan. Zum Beispiel konsequent dort die Hauptstrasse überquert, wo es eben gerade keinen Fussgängerstreifen oder Unterführung hatte. Und nein, Fussgängerinnenstreifen gab es damals noch nicht.
Was soll ich sagen: Ich war nicht zurechnungsfähig, ganz offiziell. Weil das die Schweiz so ins Zivilgesetzbuch geschrieben hat: erst ab 18. Es ist nie etwas passiert, was ja wohl beweist, dass meine Entscheide hundertprozentig richtig waren. Okay, ab und zu hat jemand gehupt, aber höchstens ein-zwei Mal. Pro Überquerung.
Ich hätte ja auch behaupten können, mir passe das Farbschema der Ampeln nicht. Zu grell statt pastell, ausserdem regt Rot an und dann geht man, Grün beruhigt einen, also ideal um geduldig zu warten. Leute, seht ihr nicht, was hier abgeht? Ist doch völlig logisch, wenn man noch selber denken kann.
Irrenhaus oder Krankenhaus
Zurück ins Spital, aber nicht per Ambulanz, schliesslich gehe ich ja sicher nicht bei Rot über die Strasse, nie! Ab ins Spital, natürlich nur in Gedanken, wo denken Sie auch hin. Ah ja genau, ins Spital denken Sie, prima. Und an die Maskenpflicht, und da gibt es sicher einige fragwürdige und einige nicht nachvollziehbare Entscheide, genau, einige.
Nur sollte man dabei bedenken, warum ein Spital sich für eine Maskenpflicht für Personal oder Besucher oder bestimmte Patientengruppen entscheidet. Zum Beispiel, weil man die Risikopatienten nicht zuerst vom Krebs oder dem Harnwegsinfekt heilen und dann mit Covid auf die Intensivstation verlegen will.
Zum Beispiel, weil man nicht das Gesundheitspersonal zu Dutzenden krankschreiben will. Das wär bitz blöd, weil vom Gesundheitspersonal hat es eh bitz zu wenig. Und weil genau dann, wenn potenziell viel Gesundheitspersonal erkrankt, natürlich auch viel Bevölkerung ins Spital einrückt. Nicht nur in Gedanken. Aber das wissen Sie ja alles, denn schliesslich haben wir aus der Pandemie gelernt.
Also wird entschieden, aber es ist keine exakte Wissenschaft, auch wenn die Wissenschaft beim Entscheiden elementar ist. Und dann reg ich mich wieder auf, was natürlich auch nicht gerade gesund sein kann. Besser wäre wohl: Einfach zur Kenntnis nehmen, denn es ist ja kein Weltuntergang. Hoffentlich.
Weniger Aufregung fährt im Zuge
Ungern erinnern wir uns auch an den Flickenteppich, den die Pandemie auch gesunden Menschen ausserhalb von Gesundheitsinstitutionen beschert hat. Im einen Kanton galt dies, im anderen jenes, jede zweite Schule hatte noch eine bessere Idee, wie der Ansteckungskette mit möglichst wenig Freiheitseinschränkung begegnet werden könnte.
Absurd wurde es, als man sich gewahr wurde, dass es ÖV-Verbindungen gibt, die, ja, wirklich, über Kantonsgrenzen hinausgehen. Obschon die Situation in den rollenden Sardinenbüchsen epidemiologisch dieselbe blieb, egal ob Tram, Bus oder Doppelstock-Triebzug mit Wankkompensation. Also sagt jetzt der Bundesrat: Leute, wir hätten da einen Vorschlag.
Und schon ist der Aufregungspegel wieder im roten Bereich (denn auch hier ist das Farbschema verkehrt). «Bundesrat kann neu jederzeit Maskenpflicht im ÖV verordnen», hiess es, und das kann ja nur eins heissen. Dass nämlich Gesundheitsminister Alain Berset zum Abschluss noch übergriffiger wird als jemals zuvor. Dass man sich schon allein deswegen sicher nicht in diese unnütze Gesichtswindel wickelt.
Es ist alles ganz anders
Und das kann ja nur eins heissen: Es wird wieder einmal ganz fest viel verwechselt. Nein, der Bundesrat «kann» das nicht, denn der Bundesrat kann keine Gesetze beschliessen. Das kann nur das Parlament und die Bevölkerung kann dagegen das Referendum ergreifen. Aber dann ist es mal entschieden, so wie das Ampel-Farbschema und meine Unzurechnungsfähigkeit.
Im Alleingang durchsetzen könnte der Bundesrat solchiges nur mit Notrecht, aber das möchten wir lieber nicht. Sagen zumindest diejenigen Kreise, die nun lautstark ausrufen, wenn eine Regelung im regulären Recht vorgestellt wird.
Ruhig, tief einatmen… nicht ganz so tief, es hat Aerosole
Zwotens: Wer sagt denn, dass die nächsten Pandemien – und die wird es zwangsläufig geben – immer noch Covid-Pandemien sein werden? Vielleicht ist der Erreger kleiner, grösser, ausschliesslich oder gar nicht auf dem Luftweg übertragbar. Nur weil der Bundesrat es allfälligerweise dann mal kann, heisst das nicht, dass er die ganze Zeit Maskenpflichten verordnet. Sondern je nach Situation, ob man sich auch einen relevanten Nutzen davon erhofft.
Selbstredend werden ich und andere Unzurechnungsfähige es dann anders sehen. Aber es ist mir ehrlich gesagt lieber, es entscheidet einfach mal jemand, statt dass es alle 500 Meter eine andere oder gar keine Regelung gibt. Wer entscheidet, kann man diskutieren. Das muss nicht der Bundesrat sein.
Tausendmal demaskiert, tausendmal nichts passiert
Wäre ein Fachgremium besser, das Parlament, oder soll man einfach mal würfeln? Kann man machen. Immerhin gäbe das dann lustige «Arena»-Diskussionen und noch viel lustigere Würfel: mit zwei Seiten.
Sie können selbstverständlich aus Protest dann grad extra ohne Maske in den Zug steigen. Das wäre dann etwa so, wie bei Rot über die Strasse zu gehen, wo wir uns doch – leider – darauf verständigt hatten, dass man das nicht tun soll.
Aber wie auch immer: Viel passieren wird ja nicht. Ein paar werden blöd rumhupen und Sie werden für einen unzurechnungsfähigen Teenager gehalten. Wer möchte das nicht?