Referendum zur Organspende-Widerspruchslösung spirituell angehaucht
Im Mai stimmt die Schweiz darüber ab, ob Menschen einer Organspende nach ihrem Tod klar zustimmen oder widersprechen müssen. Eine zum Teil spirituelle Debatte.
Das Wichtigste in Kürze
- Wer heute in der Schweiz seine Organe spenden will, muss explizit zugestimmt haben.
- Der Bund möchte das Prinzip nun umkehren: Die Organspende müsste abgelehnt werden.
- Das Referendumskomitee sieht die Selbstbestimmung über den Körper gefährdet.
Heute wurden in Bern gleich drei Referenden eingereicht. Über alle Anliegen – Frontex, Lex Netflix und die Widerspruchslösung für die Organspende – wird Ende Mai abgestimmt. Es sind alles höchst kontroverse Themen, aber die Organspende besonders.
In der Schweiz gilt aktuell bei der Organspende das Zustimmungsprinzip: Nur wer explizit zustimmt, kann seine Organe spenden. Eine Volksinitiative forderte den Wechsel zum Widerspruchsprinzip: Nur wer explizit Nein sagt, muss seine Organe nicht spenden. Die Angehörigen könnten beim Tod eines möglichen Spenders jedoch immer noch die Organentnahme ablehnen.
Das Parlament hat die Initiative abgelehnt und eine eigene Lösung ausgearbeitet, die den Paradigmenwechsel umsetzt. Wie in anderen europäischen Ländern auch, soll so gegen den Organmangel vorgegangen werden.
Frage der Seele beschäftigt Gläubige
Im Referendumslager sitzen Ethikerinnen und zahlreiche medizinische Fachleute wie Ärzte und Hebammen. Aber auch viele Politikerinnen und Politiker lehnen die Widerspruchslösung ab. Was auffällt: Zahlreiche von ihnen sind Mitglieder von Parteien mit religiösen Wurzeln wie «Die Mitte», EVP oder EDU. Auch Pfarrer und Theologinnen unterstützen das Referendum.
Beeinflussen christliche Werte etwa den Entscheid zur Organspende? Schon möglich, antwortet Marianne Streiff, Berner Nationalrätin und ehemalige Parteipräsidentin der Evangelischen Volkspartei (EVP).
«Religiöse Menschen befassen sich vielleicht häufiger mit Sterben und Tod», sagt sie auf Anfrage von Nau.ch. «Und da stellt sich natürlich die Frage, wann die Seele den Körper verlässt.»
Man komme ins Grübeln, wenn man wisse, dass Hirntoten Organe entnommen würden. «Sind sie bereits tot oder noch am Sterben?», fragt Streiff.
Mit dem Tod des Hirns seien lediglich drei Prozent des Körpers tot, erklärt die Nationalrätin. «Das Herz schlägt, sie sind beatmet, sehen aus wie Schlafende...»
Das stimmt, wie die Stiftung «Swiss Transplant» in einer Broschüre erklärt: In der Schweiz muss die Diagnose eines Hirntods von zwei unterschiedlichen Ärzten oder Ärztinnen gestellt werden. Diese dürfen anschliessend nichts mit der Organentnahme oder -Transplantation zu tun haben. Und wenn die hirntote Person künstlich beatmet wird, funktioniert das Herz noch. Zudem kann das unabhängige Nervensystem im Rückenmark auf Reize reagieren.
Erklärungslösung der Nationalen Ethikkommission bevorzugt
Für das Referendumskomitee wird die Organspende per se nicht infrage gestellt. «Es geht darum, wie die Meinung der allfälligen Spendenden eingeholt wird», so Streiff. Über eine so wichtige Frage habe die Bevölkerung das Recht, abzustimmen.
Die Bernerin favorisiert das Erklärungsmodell der Nationalen Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin (NEK). Die NEK hatte dieses Modell schon 2019 vorgestellt: Personen sollten regelmässig dazu aufgefordert werden, sich mit der Organspende auseinanderzusetzen. Zusätzlich wären alle dazu verpflichtet, sich dazu zu äussern.
Wie das konkret funktionieren würde, lässt die NEK offen. Eines ist jedoch klar: Die Widerspruchslösung lehnt die Kommission ab. «Sie unterstützt nicht die Ermittlung des Willens der verstorbenen Person», schrieb die NEK in ihrer Vernehmlassungsantwort zur Volksinitiative.