Ständerat zurückhaltend bei Stärkung der Pflegeberufe
Der Nationalrat hatte der Gesetzesänderung in der Wintersession zugestimmt. Der Anteil älterer Menschen nehme zu, es brauche mehr qualifiziertes Pflegepersonal, sagte Erich Ettlin (CVP/OW) im Ständerat. Heute muss fast die Hälfte des Personals im Ausland rekrutiert werden. Der Handlungsbedarf war weitgehend unbestritten.
Unisono verdankten die Rednerinnen und Redner im Ständerat auch die Leistungen des Pflegepersonals während der Corona-Krise. «Meine Wertschätzung ist enorm», sagte Ettlin. Doch beim Applaus soll es nicht bleiben: Nun brauche es Taten, forderte Maya Graf (Grüne/BL).
Konkrete Massnahmen beschloss der Ständerat aufgrund eines indirekten Gegenvorschlags zur Pflegeinitiative, den die Gesundheitskommission des Nationalrats ausgearbeitet hatte. Der Gesetzesentwurf setzt bei der Ausbildung und den Kompetenzen an, um den Berufsstand aufzuwerten.
Ein zentrales Anliegen der Initianten ist, dass sie Pflegende ihre Leistungen selbständig zu Lasten der Krankenkassen abrechnen können. In dem Bereich gab es zwar schon eine Lockerung. In den meisten Fällen braucht es dafür aber immer noch eine Anordnung des Arztes. Der Nationalrat ist den Pflegenden in diesem Punkt entgegengekommen. Welche Leistungen sie auf eigene Rechnung erbringen können, legt der Bundesrat fest.
Der Ständerat knüpfte eine zusätzliche Bedingung an die erweiterten Kompetenzen: Davon profitieren sollen nur jene Pflegefachpersonen, Spitexorganisationen und Pflegeheime, die mit den Krankenversicherern vorgängig eine Vereinbarung abgeschlossen haben. Es handle sich um eine Einschränkung des Vertragszwangs, kritisierte Marina Carobbio Guscetti (SP/TI). So könnten die Initianten nicht zum Rückzug bewegt werden.
Eine Minderheit bekämpfte die Möglichkeit zur direkten Abrechnung, vor allem wegen der befürchteten Mehrkosten. Diese werden auf über 100 Millionen Franken geschätzt. Gesundheitsminister Alain Berset warnte auch vor einer Überforderung des Systems, wenn tausende zusätzliche Leistungserbringer zu Lasten der Krankenkassen abrechnen könnten.
Ebenfalls noch nicht einig sind sich die Räte über die Ausbildungsbeiträge. Der Nationalrat will die Kantone verpflichten, angehenden Pflegefachkräften Beiträge an die Lebenshaltungskosten zu leisten. Der tiefe Ausbildungslohn gilt als eine der Ursachen für die zu geringe Zahl von Abschlüssen. Der Bund soll die Kantone während acht Jahren unterstützen, die Kosten werden auf 200 Millionen Franken geschätzt.
Der Ständerat hat sich ebenfalls für die Ausbildungsunterstützung ausgesprochen, allerdings nur knapp mit 23 zu 22 Stimmen. Auch in anderen Berufen fehle es an Nachwuchs, sagte Josef Dittli (FDP/UR), der die Streichung beantragt hatte. Anders als der Nationalrat beschloss die kleine Kammer aber, dass die Kantone nicht verpflichtet werden sollen, solche Beiträge zu leisten. Aufgrund der Freiwilligkeit dürften die Kosten für den Bund nur 100 Millionen Franken betragen.
Unbestritten ist die Ausbildungsverpflichtung für Spitäler, Pflegeheime und Spitexorganisationen. Damit verbunden ist die Verpflichtung der Kantone, den Leistungserbringern die ungedeckten Kosten der praktischen Ausbildungsleistungen mindestens teilweise zu finanzieren. Dabei werden sie vom Bund während acht Jahren unterstützt.
In der Version des Ständerats belaufen sich die Kosten des indirekten Gegenvorschlags für den Bund auf rund 400 Millionen Franken für acht Jahre, davon 369 Millionen zur Unterstützung der Kantone. Der Nationalrat veranschlagt 100 Millionen Franken mehr. Zusammen mit den Kantonsbeiträgen stünden somit insgesamt bis zu einer Milliarde Franken zur Verfügung. Laut Ettlin würde das eine Erhöhung der Anzahl Diplome von 2700 auf 4300 pro Jahr erlauben.
In der Gesamtabstimmung nahm der Ständerat den indirekten Gegenvorschlag mit 36 zu 4 Stimmen 2 bei an. Die Vorlage geht zurück an den Nationalrat. Zur Volksinitiative «Für eine starke Pflege» (Pflegeinitiative) hat sich der Ständerat noch nicht geäussert. Der Nationalrat lehnt diese ab.
Mit der Initiative will der Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK) in der Verfassung verankern, dass Bund und Kantone die Pflege als wichtigen Bestandteil der Gesundheitsversorgung fördern. Zudem soll die Attraktivität der Pflegeberufe gesteigert werden.