Strommangel droht: Stehen Trams und Rolltreppen bald still?
Ohne Abkommen mit der EU droht im Winter ein Strommangel. Wir müssten auf Rolltreppen, Trams und Züge verzichten, im Extremfall stundenlang komplett auf Strom.
Das Wichtigste in Kürze
- Die EU behält ab spätestens 2025 mindestens 70 Prozent der Stromreserven für sich.
- Dadurch könnte die Schweiz insbesondere im Winter zu wenig Strom haben.
- Der ÖV-Betrieb müsste eingeschränkt werden – im Extremfall drohen stundenlange Blackouts.
«Eine Strom-Mangellage ist neben der Pandemie die grösste Gefahr für die Versorgung der Schweiz.» Mit diesen Worten fordert Wirtschaftsminister Guy Parmelin die Unternehmen auf, sich auf eine mögliche Stromknappheit vorzubereiten.
In einer solchen Situation müssten Unternehmen und Fabriken den Betrieb runterfahren. Auch Busse, Trams und Züge könnten nur noch eingeschränkt fahren. Rolltreppen, Klimaanlagen und Werbeplakate würden abgeschaltet, Freizeitangebote wie Schwimmbäder eingeschränkt. Und die Landesversorgung und die innere Sicherheit würden beeinträchtigt werden.
Im Extremfall müsste der Bund zu Netzabschaltungen greifen. Einzelne Gebiete müssten dann für mehrere Stunden ohne Strom auskommen. Die Unterbrechungen würden die verschiedenen Gebiete abwechselnd und gleichermassen treffen.
Im Winter droht der Blackout
Ein solches Szenario ist nicht völlig aus der Luft gegriffen, sondern eine reale Gefahr, die bereits in weniger als vier Jahren droht. Denn übers ganze Jahr gesehen produziert die Schweiz im Normalfall genug Strom, um den Eigenverbrauch abzudecken.
Allerdings wird im Sommer viel Strom hergestellt, im Winter dagegen ist man auf Importe angewiesen. Im Schnitt liegt die Selbstversorgungsfähigkeit der Schweiz gemäss Bundesrat bei 22 Tagen. Entscheidend dafür ist die grosse Speicherkapazität der Stauseen.
Ab 2025 drohen in der kalten Jahreszeit Engpässe, wenn alle EU-Mitgliedstaaten den «Clean Energy Package» umsetzen müssen. Dieses schreibt den Übertragungsnetzbetreibern vor, mindestens 70 Prozent des überflüssigen Stroms für den Stromhandel innerhalb der EU freizuhalten. Dadurch könnten die Importkapazitäten für die Schweiz deutlich eingeschränkt werden.
Beste Lösung ist Stromabkommen mit der EU
Bundesrat Parmelin ruft zwar dazu auf, sich auf den Worst Case vorzubereiten. Doch im Idealfall kommt es allerdings gar nicht erst zu einer Mangellage. Durch ein Stromabkommen mit der EU würde die Schweiz im Strommarkt den Mitgliedstaaten gleichgestellt.
Eine Studie im Auftrag des Bundes kommt zum Schluss, dass diese Lösung die Gefahr der Strom-Mangellage am besten abwende. Allerdings liegt ein solches Abkommen seit 2018 auf Eis. Der Abbruch der Verhandlungen für ein institutionelles Rahmenabkommen schmälerte die Chancen auf eine Einigung zusätzlich.
Alternativ könnte die nationale Netzgesellschaft «Swissgrid» bilaterale Vereinbarungen auf technischer Ebene mit den Nachbarstaaten abschliessen. Solche Vereinbarungen bestehen bereits, sie müssten aber präzisiert werden. Die EU-Länder sitzen jedoch am längeren Hebel, was zu erheblichen Mehrkosten führen könnte. «Ob diese Vereinbarungen rechtzeitig realisiert werden können, ist allerdings noch unklar», so der Bundesrat in einer Mitteilung.
Stromversorgung im Inland im Umbau
Das Problem könnte auch dadurch gelöst werden, dass die Schweiz den eigenen Strombedarf im Inland produziert.
Beim Parlament hängig ist derzeit etwa eine Anpassung des Stromversorgungsgesetzes und des Energiegesetzes. Vorgesehen sind verschiedene Massnahmen, um die Versorgungssicherheit zu erhöhen, insbesondere im Winter. Dazu zählen der Ausbau der Speicherwasserkraft, die Schaffung einer Energiereserve sowie den Ausbau der erneuerbaren Energien – als Ziel nennt der Bundesrat das Jahr 2040.
Neue Gas- oder gar Kernkraftwerke?
Die Eidgenössische Elektrizitätskommission (Elcom) soll ausserdem bis November ein Konzept für den Bau eines Gaskraftwerks vorlegen. Der Energie-Verband Powerloop hat kürzlich vorgeschlagen, gestaffelt rund 2000 kleine Gaskraftwerke verteilt über die Schweiz zu bauen. Derzeit sind hierzulande bereits 950 kleine Gaskraftwerke in Betrieb.
Auch die Forderung, den Ausstieg aus der Kernenergie zu stoppen, kommt immer wieder auf. Economiesuisse-Präsident Christoph Mäder und die SVP forderten gar den Bau neuer AKW. Jedoch hat sich das Stimmvolk mit der Annahme der Energiestrategie 2050 dagegen ausgesprochen. Auch die Stromkonzerne haben diese Option als unrealistisch und unwirtschaftlich bezeichnet.
Doch alle Lösungen, die auf eine Selbstversorgung setzen, haben ein Problem gemeinsam: Sie brauchen viel Zeit und können kaum bis im Januar 2025 umgesetzt werden.