SVP und Lehrpersonen wollen integrative Schule abbauen

Die SVP hat eine Abkehr vom Modell der integrativen Schule in ihr Wahlprogramm aufgenommen. Lehrerverbände stimmen zu: Das heutige Modell sei nicht umsetzbar.

Chiesa SVP integrativer Schulunterricht
Parteipräsident Marco Chiesa spricht an der Delegiertenversammlung der SVP Schweiz. Aufgenommen am Samstag, 28. Januar 2023 in Bülach. (Archivbild) - Keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Kinder mit Lernschwierigkeiten werden so weit wie möglich in Regelklassen unterrichtet.
  • Die SVP sieht das «integrative Modell» als gescheitert an und verlangt nun eine Reform.
  • Lehrerverbände stimmen zu: Das Modell sei mit den verfügbaren Mitteln nicht umsetzbar.

Seit rund 20 Jahren verlangt das Gesetz, dass Kinder und Jugendliche eine ihren Bedürfnissen angepasste Grundschulung erhalten. Kinder mit Lernschwierigkeiten sollen so weit wie möglich, und solange es dem Wohl der Betroffenen dient, in Regelklassen unterrichtet werden. Die «integrative Schule» sollte für alle Beteiligten ein Vorteil sein.

SVP: Integrative Schule ist gescheitert

Die SVP sieht hingegen die integrative Schule als ein gescheitertes Modell an. Deshalb hat die Volkspartei die Überarbeitung des heutigen Modells in ihr neues Wahlprogramm aufgenommen. Antragstellerin Andrina Trachsel präzisiert: Ihr gehe es nicht um eine komplette Abschaffung, sie fordere jedoch eine Abkehr davon. «Man soll nicht um jeden Preis forcieren wollen, dass jedes Kind, wenn nur irgendwie möglich, in eine Regelklasse integriert wird.»

Schulunterricht
Kinder in der Schule. Das Gesetz verlangt, dass Kinder und Jugendliche eine ihren Bedürfnissen angepasste Grundschulung erhalten. (Symbolbild) - Keystone

Die Politik müsse Druck auf die Bildungsdirektionen ausüben, damit die Hürden für die Sonderschule gesenkt würden, so die Kantonsratskandidatin. Ausserdem wolle die SVP eine gesellschaftliche Diskussion anstossen, um das negative Bild von Kleinklassen und Sonderschulen loszuwerden. Ein Ziel sei auch eine Entlastung der Lehrpersonen, mit weniger Bürokratie und Auflagen, wovon schlussendlich auch die Kinder profitieren würden.

Lehrpersonen sind mit Forderung der SVP grundsätzlich einverstanden

Tatsächlich sind sich die Lehrpersonen und die SVP ausnahmsweise einig. Denn auch in der Lehrerschaft ist der Unmut gross: Laut einer Umfrage im Baselbiet sind rund 82 Prozent der Primarlehrpersonen mit der integrativen Schule in ihrer bestehenden Form unzufrieden.

Andrina Trachsel Roger Wartburg
SVP-Kantonsratskandidatin Andrina Trachsel (links) und Roger von Wartburg vom Lehrerinnen- und Lehrerverein Baselland (LVB). - svp.ch / gymlaufen.ch

Roger von Wartburg, Progymnasiallehrer und Geschäftsleitungsmitglied des Lehrerinnen- und Lehrervereins Baselland (LVB), erläutert die Probleme: «Stark verhaltensauffällige Schülerinnen und Schüler vermögen einen funktionierenden Unterrichtsbetrieb regelrecht lahmzulegen.»

Ausserdem gebe es bei Weitem nicht genügend Heilpädagoginnen und Heilpädagogen. Dadurch steige die Belastung der Lehrpersonen, wodurch sie allen anderen Kindern nicht gerecht werden könnten. Obendrauf komme die Zusatzbelastung durch permanent erforderliche Absprachen, Förderplanungen und Zusammenarbeit mit den Fachstellen.

Schulunterricht Integrativ
Ein Schüler im Unterricht. Rund 82 Prozent der Primarlehrpersonen im Kanton Basel-Land sind mit der integrativen Schule in ihrer bestehenden Form unzufrieden. (Symbolbild) - Keystone

«Die Ressourcenfrage ist das eine. Auf der anderen Seite sollten aber integrative Settings nicht glorifiziert und separative Settings nicht diabolisiert werden. Man muss jeweils situativ schauen, welche Lösung für alle Beteiligten die beste ist», fordert von Wartburg. Denn in einer kleinen Sonderklasse sei die Betreuungsquantität und -qualität insgesamt höher als in einem integrativen Setting.

«So viel Integration wie möglich, so viel Segregation wie nötig»

Der nationale Dachverband der Lehrpersonen (LCH) fasst seine Position wie folgt zusammen: «So viel Integration wie möglich, so viel Segregation wie nötig.» Grundsätzlich unterstütze der LCH die integrative Schule in ihrer zugrundeliegenden Idee, sagt Beat Schwendimann, Leiter der pädagogischen Arbeitsstelle. Sie könne aber mit den zur Verfügung stehenden Mitteln nicht zufriedenstellend umgesetzt werden.

Lehrperson
Ein Lehrer unterrichtet seine Klasse. Im Schulwesen besteht ein signifikanter Mangel an Fachpersonen. (Symbolbild) - Keystone

Bereits bei der Einführung 2007 habe ein signifikanter Mangel an Fachpersonen bestanden. Die geforderten Strukturreformen hätten aber nur eingeschränkt stattgefunden. Der erneute Ruf nach segregativen Lösungen, wie beispielsweise Förderklassen, sei daher auch als Zeichen der Überlastung von Lehrpersonen zu werten.

Losgelöst von Ideologie situativ die beste Lösung finden

Schliesslich sei die Frühförderung bis zum vierten Lebensjahr, die zu den wichtigsten in der Entwicklung gehörten, ein weiterer, wichtiger Aspekt. Damit die Weichen für den Schuleintritt bereits richtig gestellt könnten, müsse dieser Bereich ausgebaut werden. Insbesondere brauche es für alle Familien finanziell tragbare Kita-Plätze und frühzeitige Sprachförderung.

Befürworten Sie das Modell des integrativen Schulunterrichts?

Wichtig sei, dass der Fokus auf die Bildung und das Wohl der Kinder gelegt werde. Roger von Wartburg fordert in diesem Sinne: «Man muss losgelöst von ideologischen Dogmen immer situativ die beste Lösung anpeilen.»

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