Werden alte, weisse Männer diskriminiert?
Die zunehmende gesellschaftliche Auseinandersetzung mit männlichen Privilegien führt auch zu wachsendem Unmut über die Frauenförderung. Ein Experte ordnet ein.
Das Wichtigste in Kürze
- Die vermehrte Problematisierung von strukturellen Ungleichheiten löst auch Unmut aus.
- Immer mehr Männer fühlen sich durch die «allgegenwärtige Frauenförderung» diskriminiert.
- Der Experte betont: Kritik an Privilegien sei nicht mit Diskriminierung gleichzusetzen.
Spätestens seit der Abstimmung über die AHV 21 wird links der Mitte zunehmend gegen eine angebliche Geissel der Gesellschaft gepoltert: Weisse, alte Männer. Insbesondere Exponate wie Tamara Funiciello sorgen mit kontroversen Aussagen immer wieder für rote Köpfe – auch innerhalb der eigenen Reihen.
An einer kurzfristig anberaumten Kundgebung nach der Abstimmungsniederlage steht für die Berner Nationalrätin denn auch fest: «Wir werden von alten, weisshaarigen Männern bevormundet.»
Im Interview mit «Blick» verteidigt die Nationalrätin ihre Kampfansage: «Wer entscheidet und warum? Die Menschen, die in unserer Welt die Macht haben, sind normalerweise reich – und meistens weiss, alt und männlich.»
Wachsender Unmut über Gleichstellungsbemühungen
Längst nicht alle Personen teilen die Einschätzung von Tamara Funiciello: Gemäss einer grossangelegten Studie aus Schweden wächst der männliche Unmut über die Gleichstellungsbemühungen in der ganzen EU.
Demnach waren viele der Befragten der Ansicht, die Bemühungen seien zu weit gegangen. Hauptsächlich junge Männer im Alter zwischen 18 und 29 Jahren fühlen sich durch die «allgegenwärtige Frauenförderung» zunehmend diskriminiert.
Auch in der Schweiz sind ähnliche Entwicklungen zu beobachten: Erst kürzlich ist beispielsweise bei der Lauterkeitskommission eine Beschwerde wegen Diskriminierung gegen die Migros eingegangen. Der Beschwerdeführer gibt zu bedenken, dass sich der Detailhändler in einem Werbespot abschätzig über weisse, alte Männer äussere.
Tamara Funiciello weist Vorwürfe der Diskriminierung zurück
Nationalrätin Tamara Funiciello weist Vorwürfe der Diskriminierung ihrerseits vehement zurück: Obwohl sie sich auf eine bestimmte Bevölkerungsgruppe fokussiere, reproduziere sie keine Mechanismen der Diskriminierung.
Im «Blick»-Interview gibt die Bernerin zu bedenken: «Männer werden nicht diskriminiert, weil sie Männer sind. Ich wiederhole das gern 45 Mal: Niemand wird körperlich angegriffen, weil er ein weisser, alter und reicher Mann ist, das kann ich Ihnen versichern.»
Der Männerverein «Männer.ch» bestätigt die Tendenz
Markus Theunert vom Dachverband der Schweizer Männer- und Väterorganisationen «Männer.ch» teilt die Einschätzung der SP-Nationalrätin: «Männer sind strukturell privilegiert.» Bis heute seien wirtschaftliche und politische Macht «nicht fair zwischen den Geschlechtern oder zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen» verteilt.
Gleichzeitig weist Theunert darauf hin, dass nicht alle Männer von dieser Privilegierung «in gleichem Umfang» profitieren könnten. Ferner betont der Experte, dass eine «empathischere Wortwahl» in der Angelegenheit zielführender wäre.
Gesellschaftliche Auseinandersetzung ist keine Diskriminierung
Für Markus Theunert steht allerdings fest: Auch in der Schweiz existieren Strukturen, die Männer diskriminieren – die einseitige Wehrpflicht sei ein Paradebeispiel eines derartigen Mechanismus. Klagen über die Diskriminierung von Männern blieben allerdings zu oft «in der Einzellfalloptik» stecken.
Der Experte rät zur differenzierten Betrachtungsweise: «Es gibt eine zunehmende gesellschaftliche Auseinandersetzung, die männliche Macht und Privilegien problematisiert.» Es wäre jedoch ein «Missverständnis, Kritik an realen Privilegien einer Bevölkerungsgruppe mit deren Diskriminierung zu verwechseln.»