Zu viele SVP-Richter: Hunderte Asyl-Urteile stehen auf der Kippe
Das Bundesverwaltungsgericht soll bei Asylfällen die Richterzusammensetzung manipuliert haben. Das dürfte für viele Beschlüsse Konsequenzen nach sich ziehen.
Das Wichtigste in Kürze
- Das Bundesverwaltungsgericht in St.Gallen befasst sich unter anderem mit Asylentscheiden.
- Nun haben Recherchen ergeben, dass bei der Zusammensetzung der Gremien manipuliert wurde.
- Das könnte für hunderte von Asylfällen Revisionen nach sich ziehen.
In St.Gallen steht das Bundesverwaltungsgericht. Es befasst sich mit der Rechtsmässigkeit von Verwaltungsverfügungen – und ist die letzte Beschwerdeinstanz für Asylfälle. Genau in diesem Bereich, allem voran in der Abteilung V, ist aber offenbar nicht alles mit rechten Dingen zu- und hergegangen.
Recherchen der «Rundschau» und der Tamedia-Zeitungen » sollen aufgedeckt haben, dass die Zusammensetzung der Richtergremien, «Spruchkörper» genannt, häufig manuell manipuliert wurden. Diese Spruchkörper sollten möglichst neutral sein, weswegen eine Software die Namen der jeweiligen Richterinnen und Richter für die Körper definiert.
SVP-Richter erneut in Erklärungsnot
Schon Anfang 2022 zeigte ein Asylanwalt, Gabriel Püntener, den SVP-Richter David Wenger an. Püntener warf Wenger vor, in seinen Fällen absichtlich die Spruchkörper mit SVP-Mitgliedern zu besetzen. Sprich, die eigentliche Komposition, von der Software ernannt, abzuändern. So sollen die Erfolgschancen seiner Beschwerden reduziert werden, sagte Püntener.
Zwei Rechtsprofessoren von den Universitäten Zürich und Bern gaben Püntener im Kern seiner Anschuldigung recht. In 45 von 100 Fällen sei die Spruchkörperbildung manuell abgeändert worden, lautete das Fazit ihrer Studie. Bisher hatte das Gericht öffentlich von fünf von 100 Fällen gesprochen.
In 18 Fällen der Abänderung seien zudem keine Begründungen im System zu finden. Das Bundesverwaltungsgericht sagt, es handle sich um «Umverteilungen bei überlasteten Richterinnen und Richtern oder um Stellvertretungen». Es sei stets nach bestem Gewissen vorgegangen, hält ein Mediensprecher fest.
Die Gerichtsprüfungskommission des Parlaments soll die Affäre untersuchen. Ein anderes Problem soll jedoch auch bestehen: Die Zusammensetzung der Spruchkörper durch die Software müsste eigentlich durch eine unabhängige und nicht weisungsgebundene Richterperson überprüft werden. Wie die Tamedia-Zeitungen aber wissen wollen, soll das in der Asylabteilung V von SVP-Richter Wenger bis Frühjahr 2021 nicht der Fall gewesen sein.
Zeitweise sollen die kontrollierenden Richterinnen und Richter zwei bis drei Fehlzusammensetzungen entdeckt haben. Das sei in der Abteilung V aber bis 2021 unentdeckt geblieben; deswegen könnten nun hunderte von Asylentscheiden revidiert werden. Die Verfassung garantiert nämlich eine korrekt zusammengesetzte Instanz.