Deutschland berät mit Nato-Partnern über Verlängerung von Evakuierungen aus Kabul
Angesichts des sich nähernden Abzugsdatums der US-Truppen werden die Stimmen nach einer Verlängerung der Evakuierungsmission aus Kabul über den 31. August hinaus lauter.
Das Wichtigste in Kürze
- Taliban drohen mit «Konsequenzen»- Bundeswehr an tödlichem Feuergefecht beteiligt.
Die Bundesregierung stehe in Gesprächen mit den Nato-Partnern über einen «zivilen Weiterbetrieb» des Kabuler Flughafens, sagte Bundesaussenminister Heiko Maas (SPD) am Montag. Die radikalislamischen Taliban drohten mit «Konsequenzen», sollte US-Präsident Joe Biden sich für eine Verlängerung des Militäreinsatzes am Flughafen entscheiden.
Unterdessen blieb die Lage am Flughafen gefährlich. Bei einem Feuergefecht unter Beteiligung von Bundeswehrsoldaten wurde eine afghanische Sicherheitskraft getötet. Die Bundeswehr flog bislang mehr als 3000 Menschen aus Afghanistan aus. Die USA meldeten, binnen 24 Stunden rund 16.000 Menschen aus dem Land gebracht zu haben. Seit Mitte August seien 37.000 Menschen gerettet worden, erklärte das Pentagon.
«Wir führen mit den USA, der Türkei und anderen Partnern Gespräche mit dem Ziel, einen zivilen Weiterbetrieb des Flughafens zu ermöglichen», sagte Maas (SPD) am Montag in Berlin. Darüber werde auch mit den Taliban gesprochen.
Die Bundesregierung arbeite daran, Ortskräften und anderen Schutzbedürftige «die Ausreise aus Afghanistan über den laufenden Militäreinsatz hinaus zu ermöglichen», erklärte Maas.
Grossbritannien und Frankreich hatten sich zuvor für für eine Verlängerung des US-Einsatzes zur Rettung zehntausender Menschen aus der afghanischen Hauptstadt Kabul über den 31. August hinaus ausgesprochen.
Pentagon-Sprecher John Kirby wollte nicht ausschliessen, dass die Frist über Ende August hinaus verlängert werden könnte. Er betonte aber: «Unser Fokus liegt darauf, das bis zum Ende des Monates zu schaffen.» Er wolle deswegen jetzt nicht über eine verlängerte Frist «spekulieren».
Das Datum 31. August sei «eine rote Linie», sagte Taliban-Sprecher Suhail Schaheen dem britischen Fernsehsender Sky News. «Wenn die Vereinigten Staaten oder Grossbritannien mehr Zeit verlangen, um die Evakuierungen fortzusetzen, ist die Antwort nein», bekräftigte er.
Die EU und Grossbritannien halten eine Rettung aller Schutzbedürftigen aus Afghanistan bis Ende August angesichts der chaotischen Zustände am Flughafen für unrealistisch. Sie räumen allerdings auch ein, dass europäische Streitkräfte den Flughafen nicht ohne US-Unterstützung halten können.
Der britische Premierminister Boris Johnson will beim virtuellen Krisengipfel der Gruppe der sieben wichtigen Industriestaaten (G7) am Dienstag persönlich mit Biden über eine Verlängerung des Einsatzes sprechen. Biden hatte am Sonntag eine Verlängerung nicht ausgeschlossen. Er habe die «Hoffnung», den Einsatz am Flughafen nicht verlängern zu müssen, sagte er. Sollten die Verbündeten aber darum bitten, «werden wir schauen, was wir tun können».
Die Taliban werden nach Angaben zweier ihrer Vertreter die Zusammensetzung ihrer Regierung erst verkünden, wenn alle US-Truppen das Land verlassen haben. «Es wurde beschlossen, dass die Regierungsbildung und das Kabinett nicht bekannt gegeben werden, solange sich noch ein US-Soldat in Afghanistan aufhält», sagte ein Taliban-Vertreter der Nachrichtenagentur AFP. Ein zweiter Insider bestätigte die Information.
Unterdessen drängten sich vor den Toren des Kabuler Flughafens weiterhin tausende verzweifelte Menschen, die auf einen Platz in einem Evakuierungsflieger hoffen. Maas betonte, dass sich die Lage am Flughafen in Kabul in den vergangenen Stunden «weiter chaotisiert habe». Er fordere die Menschen auf, sich «nicht auf eigene Faust zum Flughafen zu begeben».
Am Nordtor kam es am Montagmorgen laut der Bundeswehr zu einem Feuergefecht mit unbekannten Angreifern. An dem Gefecht waren Bundeswehr-Angaben zufolge neben afghanischen Sicherheitskräften auch US- und deutsche Soldaten beteiligt. Alle Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr seien unverletzt. Bei dem Toten und den drei Verletzten handele es sich um Angehörige der afghanischen Armee.
Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums bestätigte Berichte, wonach Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) eine deutsche Familie aus Kabul zum Flughafen brachten. Eine 19-jährige Münchnerin, ihr kleiner Bruder und ihre Mutter hatten laut «Bild» mehrfach versucht, selbst zum Flughafen zu gelangen, wurden aber von bewaffneten Taliban-Kämpfern gestoppt. Nach der Eskorte zum Flughafen sei die Familie am Sonntag ausgeflogen worden.
Kanadas Premierminister Justin Trudeau sprach sich derweil vor dem G7-Gipfel zur Lage in Afghanistan für Sanktionen gegen die radikalislamischen Taliban aus.
In Frankreich sorgte der Fall eines evakuierten Afghanen für Aufsehen, der ein Anhänger der Taliban sein soll. Der Mann und vier weitere ihm nahestehende Rückkehrer wurden unter Beobachtung gestellt, wie die Nachrichtenagentur AFP am Montag von Innenminister Gérald Darmanin erfuhr.