Noch nie zuvor werden sich so viele Staats- und Regierungschefs wie kommende Woche auf dem Bürgenstock NW zu einer Friedenskonferenz versammeln.
Bürgenstock - Keystone
Auf dem Bürgenstock NW findet die Konferenz zum Frieden in der Ukraine statt. - Community
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So viele Staats- und Regierungschefs wie noch nie treffen sich in einer Woche auf dem Bürgenstock NW zu einer Konferenz über einen möglichen Frieden in der Ukraine. Was bringt das? Und warum ist Aggressor Russland nicht dabei? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

WARUM GIBT ES DIE KONFERENZ?

Die am 15. und 16. Juni geplante «hochrangige Konferenz zum Frieden in der Ukraine» ist quasi eine Fortsetzung von vier bisherigen Konferenzen zur ukrainischen Friedensformel. Diese fanden in Kopenhagen, Dschidda, Malta und zuletzt im Januar in Davos statt. Die wichtigsten beiden Unterschiede zu den früheren Anlässen.

Auf dem Bürgenstock treffen sich Staats- und Regierungschefs respektive Minister und nicht mehr nur die Sicherheitsberater. Und es geht nicht mehr nur um den von Präsident Wolodymyr Selenskyj einst propagierten 10-Punkte-Friedensplan mit sofortigem Abzug aller russischen Truppen, der Freilassung aller Kriegsgefangenen und der Bestrafung russischer Politiker und Militärs. Sondern bloss um Teile daraus, die in der Staatengemeinschaft als realistisch gelten.

MIT WELCHEN ERGEBNISSEN WIRD GERECHNET?

Das Ziel des diplomatischen Megatreffens ist es, einen Friedensprozess anzustossen. Eigentliche Friedensgespräche sind es aber nicht. Russland sitzt nicht am Tisch. Die Teilnehmer sollen sich auf Schritte respektive einen Fahrplan für einen Friedensprozess einigen.

Sie diskutieren über Themen von globalem Interesse. Genannt wurden im Vorfeld der Schutz der Atomkraftwerke, die Freiheit der Schifffahrt im Schwarzen Meer, die Lebensmittelsicherheit – die Ukraine ist ein wichtiger Exporteur von Mais, Weizen, Gemüse, Gerste und Sonnenblumenöl – sowie humanitäre Aspekte. Die Ergebnisse wollen die Teilnehmer in einer Abschlusserklärung veröffentlichen.

BRINGT DIE KONFERENZ ETWAS?

Da gehen die Meinungen auseinander. Was auch immer in der gemeinsamen Abschlusserklärung stehen wird: Die auf dem Bürgenstock vereinten Unterstützerstaaten der Ukraine wollen mit Einigkeit den Druck auf Russland erhöhen. Die Organisatoren setzten alles daran, dass es nicht bloss eine westliche Konferenz wird.

Je mehr wichtige Länder aus allen Kontinenten teilnehmen, desto grösser ist die Symbolkraft. Die Schweizer Regierung vertrat die Haltung, einfach nichts zu unternehmen, sei kein Weg, nicht zuletzt angesichts des Leids der ukrainischen Bevölkerung. Für die Schweiz springen gute PR als Organisatorin des Anlasses und in aller Welt sichtbare schöne Bilder aus der Innerschweiz heraus.

WER NIMMT TEIL?

Eingeladen sind über 160 Delegationen auf Ebene von Staats- und Regierungschefs aus allen Kontinenten, aber auch internationale Organisationen und religiöse Vertreter. Gemäss Selenskyj haben bereits über 100 Delegationen zugesagt. Die Hälfte kommt aus Europa und die andere Hälfte aus dem Rest der Welt. Der Aufmarsch auf dem Bürgenstock dürfte beispiellos werden.

Für die USA kommt US-Vizepräsidentin Kamala Harris. Aus den bedeutendsten westlichen Industriestaaten (G7) reisen Japans Ministerpräsident Fumio Kishida, Kanadas Premierminister Justin Trudeau, Deutschlands Kanzler Olaf Scholz und Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron sowie Italiens Premierministerin Georgia Meloni an.

Auch Indien hat eine Teilnahme ankündigt. Daneben sind arabische und afrikanischen Staaten dabei. Welcher Staat mit welchen Vertretern teilnimmt, wird erst kurz vor der Konferenz klar. Bis zur letzten Minute sind Änderungen denkbar.

WER HAT ABGESAGT?

Für US-Präsident Joe Biden ist offenbar ein Wahlkampf-Termin in den USA wichtiger als die persönliche Teilnahme. Abgesagt hat vorerst China. China gilt als wichtigster Verbündeter Russlands. Peking hält die Konferenz ohne die Teilnahme des Aggressors Russland für schwierig.

Auch Saudi-Arabien, das im Energiebereich eng mit Russland zusammenarbeitet, will offenbar verzichten. Brasilien – das grösste Land Südamerikas – äusserte sich skeptisch. Der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva kommt zwei Tage vorher nach Genf, lässt aber wohl den Bürgenstock aus. Und auch aus Südafrika, das von Moskau unter Druck gesetzt worden sein soll, wurde bislang keine Anmeldung bekannt.

WARUM IST RUSSLAND NICHT DABEI?

Russland bezeichnete die Konferenz im Vorfeld als nutzlos. Eine Friedenssuche ohne Russland sei «absolut unlogisch, sinnlos und Zeitverschwendung», hiess es aus dem Kreml. Die Konferenz sei der Versuch, Russland Bedingungen für eine Beendigung des Konflikts aufzuzwingen, sagte Russlands Präsident Wladimir Putin. Russland wurde daher offiziell auch nicht eingeladen.

WELCHE REAKTION IST AUS RUSSLAND ZU ERWARTEN?

Das ist ungewiss. Möglich sind eine grössere Reaktion auf dem Schlachtfeld in der Ukraine oder andere Störaktionen wie etwa ein Cyberangriff in der Schweiz. Gemäss Wolodymyr Selenskyj machte Russland im Vorfeld Druck auf befreundete Länder, nicht an der Konferenz teilzunehmen.

Russland verschärfte auch die Rhetorik gegenüber der Schweiz. Der russische Aussenminister Sergej Lawrow bezeichnete die Schweiz als «offen feindseliges Land». Sie sei deshalb für Verhandlungen über den Ukraine-Konflikt nicht geeignet.

Propaganda soll gemäss Experten die Legitimität des Gipfels untergraben. Im russischen Fernsehen wurde jüngst Bundespräsidentin Viola Amherd in einer Diskussionsendung massiv verunglimpft: Sie sei geldgierig und nicht besonders attraktiv, hiess es da. Sie wurde als «Babymörderin» und «Satanistin» beschimpft. Der Bund wollte sich dazu nicht äussern.

WIE LÄUFT DIE KONFERENZ AB?

Die Staatsgäste sollen im Verlauf des Samstagnachmittags auf dem Bürgenstock eintreffen. Am frühen Abend findet die Begrüssungszeremonie statt. Mit anschliessenden Eröffnungsreden.

Die danach beginnende Konferenz sieht den Austausch im Plenum in Anwesenheit aller Delegationsleiter vor, aber auch Diskussionen zu verschiedenen Themen in kleineren Formaten. Für Sonntagmittag sind Abschlussreden geplant. Am Nachmittag soll eine Medienkonferenz stattfinden.

WELCHE SICHERHEITSVORKEHRUNGEN GELTEN?

Weil eine Vielzahl völkerrechtlich geschützter Personen anreisen wird, sind die Sicherheitsvorkehrungen für diesen Anlass in der Schweiz beispiellos. Sie sind noch strenger als am Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos GR. So dürfen etwa Journalisten und Journalistinnen keine Flüssigkeiten oder Wasserflaschen mitbringen.

Hunderte Polizisten sind im Einsatz, hinzu kommen bis zu 4000 Armeeangehörige für den Schutz von Anlagen, zur Überwachung oder auch für Transporte. Bewaffnete Kampfflugzeuge des Typs F/A-18 patrouillieren permanent. Der Luftraum ist rund 40 Kilometer rund um den Bürgenstock vom 13. Juni bis zum 17. Juni gesperrt – selbst das Gleitschirmfliegen oder das Drachen-steigen-Lassen sind untersagt.

In einer roten Kernzone sind Outdoor-Aktivitäten wie Biken, Joggen oder Bräteln verboten. Einschränkungen gibt es auch beim Baden im Vierwaldstättersee. Es gibt Kontrollen und zeitweise Strassensperrungen für Konvois. Der Bund unterstützt Nidwalden auch beim Schutz vor atomaren, biologischen und chemischen Bedrohungen und bei möglichen Hackerangriffen.

WARUM FINDET DIE KONFERENZ IN DER SCHWEIZ STATT?

Die Schweiz organisiert die Konferenz auf Bitte der Ukraine. Für die Vorbereitung des Anlasses gibt es zwei Arbeitsgruppen unter der Leitung von Botschafter Gabriel Lüchinger und Aussenminister Ignazio Cassis. Die Schweiz ist regelmässig Gastgeberin von Verhandlungen oder Vermittlerin für Gespräche und Treffen. 2022 richteten die Schweiz und die Ukraine in Lugano ein Konferenz für einen Wiederaufbau der Ukraine aus.

WAS KOSTET DIE KONFERENZ?

Die Kosten hängen von der Anzahl der teilnehmenden Delegationen und deren Niveau ab. Zuletzt rechnete der Bund mit einem Kostendach von zehn bis 15 Millionen Franken, davon zehn Millionen für die innere Sicherheit.

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