Ende von «Roe v. Wade» löst politisches Beben aus
Das Recht auf Abtreibung gehört in den USA der Geschichte an. Nicht nur Präsident Biden ist entsetzt, auch internationale Politiker äussern sich enttäuscht.
Das Wichtigste in Kürze
- Der Oberste Gerichtshof der USA hat das Abtreibungsrecht gekippt.
- Liberale Politiker zeigen sich entsetzt über den Entscheid.
- US-Präsident Biden will weiter kämpfen. Für ihn sei es noch nicht vorbei.
1973 feierten Frauen überall in den USA die Grundsatzentscheidung zum Abtreibungsrecht. Sie galt als eine der grössten Meilensteine in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Nun aber ist sie bereits wieder Geschichte.
Nach einem halben Jahrhundert hat der Oberste Gerichtshof gestern das liberale Abtreibungsrecht gekippt. Der mehrheitlich konservativ besetzte Supreme Court in Washington machte damit den Weg für strengere Abtreibungsgesetze frei.
Biden will weiter kämpfen
Das Urteil löste ein politisches Erdbeben aus. US-Präsident Joe Biden etwa nannte die Entscheidung einen «tragischen Fehler». Seiner Ansicht nach sei es die «Verwirklichung einer extremen Ideologie».
«Ich werde alles in meiner Macht stehende tun, um diesen zutiefst unamerikanischen Angriff zu bekämpfen», betonte Biden. Der US-Kongress müsse jetzt handeln, um in der Sache das letzte Wort zu haben. «Es ist nicht vorbei.»
Obama alarmiert über Entscheid
Auch sein Vorgänger Barack Obama zeigte sich alarmiert über den Entscheid. «Heute hat der Oberste Gerichtshof nicht nur fast 50 Jahre von Präzedenzfällen rückgängig gemacht. Er hat die persönlichste Entscheidung, die jemand treffen kann, den Launen von Politikern und Ideologen überlassen. Und er hat die grundlegenden Freiheiten von Millionen von Amerikanern angegriffen», schrieb er bei Twitter.
Today, the Supreme Court not only reversed nearly 50 years of precedent, it relegated the most intensely personal decision someone can make to the whims of politicians and ideologues—attacking the essential freedoms of millions of Americans.
— Barack Obama (@BarackObama) June 24, 2022
Sogar über den Landesgrenzen hinaus sorgt das Ende des US-Abtreibungsrechts für Unverständnis. «Abtreibung ist ein Grundrecht für alle Frauen», schreibt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron auf Twitter. Und dieses Grundrecht müsse geschützt werden.
«Ich möchte meine Solidarität mit den Frauen zum Ausdruck bringen, deren Freiheiten vom Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten untergraben werden.»
Auch der britische Premierminister hat sich enttäuscht über die Entscheidung gezeigt. Es handle sich um einen «grossen Schritt rückwärts».
Justin Trudeau, der kanadische Premierminister, erklärte: «Ich fühle mit den Millionen von amerikanischen Frauen, die nun ihr Recht auf Abtreibung verlieren. Ich kann mir nicht vorstellen, wie viel Angst und Wut ihr jetzt fühlt.»
Trump feiert Ende des Abtreibungsrechts
Anderer Meinung ist der Vatikan. In einer Erklärung der Päpstlichen Akademie für das Leben hiess es am Freitag unter anderem: «Es ist wichtig, eine ideologiefreie Debatte zu beginnen über den Stellenwert, den der Schutz des Lebens in der Gesellschaft hat.» Sie sei wichtig, «um uns zu fragen, welche Art von Zusammenleben und Gesellschaft wir aufbauen wollen.»
Papst Franziskus gab zunächst keine persönliche Reaktion zu dem Urteil ab. Im Vorfeld betonte er aber stets, dass er gegen jede Form von Abtreibung sei; er setzte sie mit Mord gleich.
Auch der ehemalige US-Präsident Donald Trump feierte den Entscheid des Obersten Gerichtshof. «Gott hat das entschieden», sagte der 76-Jährige im Sender Fox News. In einem schriftlichen Statement sprach er dann von dem «grössten Sieg für das Leben in einer Generation».
Es gibt in den USA kein landesweites Gesetz, das Schwangerschaftsabbrüche erlaubt oder verbietet. Abtreibungen waren aber mindestens bis zur Lebensfähigkeit des Fötus erlaubt – heute etwa bis zur 24. Woche. Dies stellten zwei Urteile des Obersten US-Gerichts sicher, die nun gekippt wurden.
Nun dürfen die US-Bundesstaaten über das Recht auf Abtreibung entscheiden. In rund der Hälfte der Staaten dürfte Abtreibung stark eingeschränkt oder verboten werden.