Erneut Rentenproteste kurz vor möglicher Verabschiedung der Reform in Frankreich
Ungeachtet der massiven Proteste steht die französische Rentenreform kurz vor ihrer endgültigen Abstimmung.

Das Wichtigste in Kürze
- In Paris prägt der anhaltende Streik der Müllabfuhr zunehmend das Stadtbild.
Am Mittwoch einigte sich ein parlamentarischer Vermittlungsausschuss auf einen Kompromiss. Dieser wurde mit zehn zu vier Stimmen angenommen, wie die Nachrichtenagentur AFP aus Parlamentskreisen erfuhr. Damit zeichnet sich eine endgültige Abstimmung der Reform am Donnerstag mit den Stimmen des Regierungslagers und der konservativen Republikaner in beiden Kammern des Parlaments ab.
Am achten Protesttag gingen nach Angaben des Innenministeriums am Mittwoch landesweit 480.000 Beschäftigte auf die Strasse, in Paris waren es demnach 37.000. Die Gewerkschaft CGT sprach von 1,78 Millionen Demonstranten, davon allein 450.000 in Paris. Das waren mehr Demonstranten als am vergangenen Samstag, aber deutlich weniger als am bislang grössten Protesttag vor gut einer Woche.
Es fielen erneut zahlreiche Flüge, Züge und Stadtbahnen aus. In Paris bestimmt der anhaltende Streik der Müllabfuhr inzwischen das Stadtbild. An zahlreichen Orten häufen sich überbordende Mülltonnen, aufplatzende Plastikmülltüten und durchweichte Pappkartons. Insgesamt verschandeln mindestens sieben Tonnen nicht abgeholten Mülls die Stadt. Einwohner und Besucher klagen über Ratten und Geruchsbelästigung.
Die Gewerkschaften wollen den Streik der Müllabfuhr ungeachtet der Abstimmung in Senat und Nationalversammlung mindestens bis Montag verlängern. Auch die Müllverbrennungsanlagen im Grossraum Paris sind vom Streik betroffen. Innenminister Gérald Darmanin hat die Stadt Paris aufgefordert, Müllarbeiter zum Dienst zu verpflichten.
Auch im Energiesektor, in den Raffinerien und Treibstoffdepots wird weiter gestreikt. Die Stromproduktion wurde erneut abgesenkt, aber ohne Auswirkungen auf die Verbraucher. Die Tankstellen sind weiterhin ausreichend versorgt.
Die französische Regierung will das Renteneintrittsalter bis 2030 von 62 auf 64 Jahre anheben, um ein Defizit in der Rentenkasse zu verhindern. Bislang geltende Sonderrenten sollen für alle gestrichen werden, die neu eingestellt werden. Zudem soll die Mindestrente bei voller Beitragszeit auf 1200 Euro angehoben werden. Auch die Einstellung von Senioren soll gefördert werden.
Während die Abstimmung im Senat als Formsache gilt, ist weiterhin unklar, ob in der Nationalversammlung genügend republikanische Abgeordnete für die Reform stimmen. Die Regierung könnte auch den Verfassungsartikel 49.3 anwenden, um die Reform ohne Abstimmung zu verabschieden. Dafür müsste sie jedoch ein Misstrauensvotum in Kauf nehmen.
Nach Angaben aus dem Umfeld von Präsident Emmanuel Macron ging die französische Regierung am Mittwochabend nicht davon aus, auf Artikel 49.3 zurückgreifen zu müssen. Macron sei sich sicher, «dass wir so abstimmen können, wie es die Premierministerin wünscht», verlautete kurz vor einem erneuten Treffen mit Premierministerin Elisabeth Borne und den zuständigen Ministern Olivier Dussopt und Franck Riester aus dem Elysee-Palast. Borne erklärte, der Kompromiss im Vermittlungsausschuss zeige, dass es möglich sei, «gemeinsam Lösungen zu erarbeiten».
Die seit Wochen anhaltende massive Protestwelle gilt auch als Ausdruck allgemeiner Politikverdrossenheit und der Sorgen in der Bevölkerung wegen der gestiegenen Preise. Bei bisherigen Protesttagen sind teilweise mehr als eine Million Menschen auf die Strassen gegangen.