Europaparlament: Volksparteien verlieren - Rechte und Grüne gewinnen
Bislang geben Christ- und Sozialdemokraten im Europaparlament den Ton an. Damit ist jetzt Schluss. Aber wie werden Mehrheiten künftig zustandekommen?
Das Wichtigste in Kürze
- Bei der Parlamentswahl der EU müssen die Volksparteien erhebliche Verluste hinnehmen.
- Liberale, grüne und rechte Parteien gewinnen hingegen Sitze dazu.
- In den 28 Mitgliedstaaten der EU waren rund 400 Mio. Menschen zur Wahl aufgerufen.
Die Konservativen mit ihrem Spitzenkandidaten Manfred Weber (CSU) wurden bei der am Sonntag beendeten EU-Wahl erneut stärkste Kraft. Die Europäische Volkspartei musste aber wie die zweitplatzierten Sozialdemokraten deutliche Verluste hinnehmen.
Am meisten Sitze dazu holen konnten sich die Fraktionen der Liberalen (+39), Rechtspopulisten (+21) und der Grünen (+18). Die von den Rechten angekündigte «Zeitenwende» bleibt aber aus. Mehrheiten im Parlament werden auch künftig problemlos ohne sie möglich sein.
Für künftige Mehrheiten im Parlament kommen besonders den Grünen und den Liberalen neue erhebliche Bedeutung zu. Die Wahlbeteiligung mit gut 50 Prozent erreichte den höchsten Stand seit zwei Jahrzehnten.
EVP verliert 42 Sitze, die Sozialdemokraten 39 Sitze
Die konservative Europäische Volkspartei (EVP) kam nach vorläufigen Ergebnissen auf 179 der 751 Sitze im Europaparlament. Dies waren 38 weniger als nach der Wahl im Jahr 2014. Dies sei «kein mächtiger Sieg», räumte Spitzenkandidat Weber ein.
Die Sozialdemokraten kamen auf 150 Mandate und erhielten damit 37 Sitze weniger als vor fünf Jahren. Erstmals seit 40 Jahren verloren Konservative und Sozialdemokraten damit zusammen eine rechnerische absolute Mehrheit im Europaparlament.
Die Liberalen kamen auf 107 Sitze (+39 Sitze) und sind damit drittstärkste Fraktion. Das EU-Parlament rechnete dabei aber bereits die Liste der Regierungspartei von Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron ein. Sowie eine rumänische Partei ein, die sich ihnen anschliessen wollen. Deshalb ist ein direkter Vergleich mit 2014 schwierig.
Grünen und Rechte verbuchen grosse Sitzgewinne
Von der sechst- zur viertstärksten Kraft im Europaparlament rückten die Grünen auf. Die Partei erzielte in Deutschland ein Rekordergebnis und kam in Frankreich überraschend auf den dritten Platz.
Ihre Fraktion bekam nach den vorläufigen Ergebnissen nun 70 Sitze – 18 mehr als zu Beginn der Wahlperiode 2014. Eine «grüne Welle» habe sich in ganz Europa ausgebreitet, sagte der Ko-Fraktionschef Philippe Lamberts.
Deutliche Zuwächse verbuchte die rechtspopulistische Fraktion Europa der Nationen und der Freiheit (ENF). Sie legte um 21 auf 58 Sitze zu.
Zu ihr gehört unter anderem die Partei der französischen Rechtspopulistin Marine Le Pen. Le Pen lag vor Macrons Regierungspartei und ist damit, wie schon 2014, stärkste Kraft bei den Europawahlen in Frankreich.
Europas Linke verbuchen herbe Verluste im Europaparlament
In Italien sicherte sich die gleichfalls zur ENF gehörende Lega von Innenminister Matteo Salvini klar den ersten Platz. Die bei der italienischen Parlamentswahl vor einem Jahr noch führende Fünf-Sterne-Bewegung schaffte es nur noch auf Platz drei.
In Grossbritannien schaffte es die neu gegründete Brexit-Partei des EU-Gegners Nigel Farage aus dem Stand auf Platz eins. Die regierende konservativen Tories wurden abgestraft und landeten laut ersten Ergebnissen mit rund 7,5 Prozent nur noch auf Platz fünf.
Die Fraktion Europa der Freiheit und direkten Demokratie (EFDD) konnte ein Plus von 15 auf 56 Sitze verbuchen. Teil der EFDD ist auch die Brexit-Partei von Farage. Die gleichfalls europaskeptisch geprägte Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) verlor 17 auf 58 Sitze.
Herbe Verluste mussten die europäischen Linken hinnehmen. Ihre Fraktion verlor 14 Mandate und landete bei 38 Sitzen.
In Griechenland kündigte Regierungschef Alexis Tsipras «umgehend» Neuwahlen an, nachdem seine Links-Partei Syriza deutlich hinter den griechischen Konservativen gelandet war.
Wer wird neuer EU-Kommissionspräsident?
Am Dienstagabend kommen nun die EU-Staats- und Regierungschefs zu einem Sondergipfel in Brüssel zusammen. Dabei geht es vor allem um die Frage, wer Nachfolger von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker wird.
Das Europaparlament fordert, dass dies wie bei der Wahl 2014 nur ein Spitzenkandidat der Parteien sein könne. Die Staats- und Regierungschefs schliessen aber auch andere Bewerber nicht aus.
Konservative und Sozialdemokraten beanspruchten zunächst den Spitzenposten für sich. Ihre Spitzenkandidaten äusserten sich angesichts der schwierigen Mehrheitsverhältnissen aber später vorsichtiger. EVP-Spitzenkandidat Weber zeigte sich offen für Gespräche mit anderen Parteien über den Spitzenposten.
Wer bildet die Koalitionen?
Die Entscheidungsfindungen und die Bildung von Koalitionen dürften im neuen Europaparlament schwieriger werden. Plötzlich sind es die vermeintlich Kleinen – vor allem Grüne und Liberale –, auf die es ankommt. Das ist ein Novum, seitdem die Bürger 1979 erstmals direkt das Parlament gewählt haben.
EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber gab sich optimistisch: Bei diesen Parteien sei der Wille zum Konsens da. Der Fraktionschef der Liberalen, Guy Verhofstadt, sagte selbstbewusst: Eine solide Mehrheit der Pro-Europäer sei ohne seine Gruppe nicht mehr möglich.