Behörden in Belarus erhöhen Druck auf Koordinierungsrat der Opposition
Angesichts der anhaltenden Massenproteste gehen die Behörden in Belarus verstärkt gegen die Organisatoren der Proteste und Streiks vor.
Das Wichtigste in Kürze
- Polizei nimmt Streikführer fest und lädt Nobelpreisträgerin vor.
Zwei Mitglieder des Koordinierungsrates, der einen politischen Wechsel erreichen will, sowie zwei Streikführer wurden am Montag festgenommen. Die dem Koordinierungsrat angehörende Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch wurde für Mittwoch vorgeladen. Unterdessen traf ein ranghoher US-Diplomat in Litauen mit der belarussischen Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja zusammen.
«Wir stehen unter Druck», sagte Lilia Wlasowa, Vorstandsmitglied des Koordinierungsrates, bei einer Online-Pressekonferenz. Die beiden Mitglieder Sergej Dilewski und Olga Kowalkowa seien festgenommen worden, ihnen werde die illegale Organisation von Streiks vorgeworfen.
«Wir betrachten diese Aktionen der Behörden als absolut unrechtmässig», sagte die Anwältin und Mediatorin Wlasowa. «Wir sind Vermittler.»
Auf einem Handyvideo, das von der Nachrichtenwebsite Tut.by verbreitet wurde, war zu sehen, wie Dilewski und Kowalkowa zu einem Polizeifahrzeug geführt wurden - unter den Augen von uniformierten Arbeitern des Traktorenwerkes, vor dem sie festgenommen wurden. Der Fabrikarbeiter Sergej Dilewski ist der Chef des Streikkomitees, Kowalkowa gehört zum Mitarbeiterstab Tichanowskajas.
Alexijewitsch, die 2015 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet wurde, unterstützte Oppositionsführerin Tichanowskaja im Wahlkampf und gilt als scharfe Kritikerin von Machthaber Alexander Lukaschenko. Die 72-Jährige ist Mitglied des von Tichanowskaja gegründeten Koordinierungsrates, hat bislang aber an keiner Sitzung teilgenommen. Die Autorin wurde vom Ermittlungskomitee für Mittwochmittag als Zeugin vorgeladen und soll zu ihren Verbindungen zur Opposition befragt werden. Der ehemalige Kulturminister und Diplomat Pavel Latuschko soll am Dienstag befragt werden.
Die belarussische Justiz hatte am Donnerstag strafrechtliche Ermittlungen gegen den von der Opposition gegründeten Koordinierungsrat eingeleitet. Der nach eigenen Angaben 600 Mitglieder zählende Rat soll sich nach Angaben von Tichanowskaja für «faire und demokratische Präsidentschaftswahlen unter internationaler Beobachtung» einsetzen. Die Behörden werfen dem Rat vor, die Macht an sich reissen zu wollen.
In der Industriestadt Soligorsk südlich von Minsk wurde der Co-Vorsitzende des Streikkomitees des Kali-Werkes Belaruskali, Bokun Anatoli, festgenommen, wie das Streikkomitee der örtlichen Minenarbeiter mitteilte. Auch ein Streikführer in dem Lkw-Werk MZKT, Alexander Lawrinowitsch, wurde festgenommen, wie Fabrikarbeiter der Nachrichtenagentur AFP sagten.
Kowalkowa hatte am Freitag zusammen mit dem Anwalt Maxim Znak Klage beim Obersten Gericht eingereicht, um eine Annullierung der umstrittenen Präsidentenwahl zu erreichen, die der langjährige Machthaber Alexander Lukaschenko nach offiziellen Angaben mit 80 Prozent gewann.
Die Verkündung des mutmasslich gefälschten Wahlergebnisses löste die grössten Massenproteste in der Geschichte des Landes aus, die nun in die dritte Woche gehen. An den beiden zurückliegenden Sonntagen gingen in der Hauptstadt Minsk jeweils rund 100.000 Menschen auf die Strassen.
Die Opposition wirft Lukaschenko massiven Wahlbetrug vor und betrachtet die nach Litauen geflohene Tichanowskaja als Wahlsiegerin. Auch die EU erkennt das Wahlergebnis nicht an.
Bundesaussenminister Heiko Maas (SPD) rief Lukaschenko auf, sich der Realität in seinem Land zu stellen. «Lukaschenko muss nach diesem Wochenende voller Proteste die Realität auf den Strassen seines Landes anerkennen und die Realität in den Köpfen der Menschen in seinem Land», sagte Maas bei einem Besuch in der benachbarten Ukraine. Eine Lösung für die «extrem kritische Situation in Belarus» könne nur über einen «inklusiven Dialog» führen.
In Litauen traf der US-Diplomat Stephen Biegun mit Tichanowskaja zusammen. Die Oppositionsführerin sei eine «sehr beeindruckende Person», sagte er. Er verurteile «die Verletzung von Menschenrechten und die Brutalität, die wir in Belarus gesehen haben». Die Belarussen müssten «ihre Zukunft selbst bestimmen».