Abwahlen haben in Basel Tradition – kann sich Esther Keller halten?
Seit 1992 haben sieben Regierungsmitglieder die Wiederwahl verpasst. Am Sonntag muss die Bau- und Verkehrsdirektorin einen Angriff von links abwehren.
Das Wichtigste in Kürze
- Am Sonntag findet in Basel der zweite Wahlgang der Regierungsratswahl statt.
- Die Amtierende Esther Keller muss sich der Herausforderin Anina Ineichen stellen.
- Favoritin ist Keller – doch alles ist möglich. Hier ist die grosse Vorschau.
Bleibt die amtierende Baudirektorin Esther Keller von der GLP im Amt, oder setzt sich am Ende die grüne Herausforderin Anina Ineichen durch?
Wahlvorhersagen sind grundsätzlich heikel – nicht selten kommt es anders als erwartet. Für die bevorstehende Regierungswahl am Sonntag in Basel-Stadt ist es aber besonders schwierig, eine Prognose zu stellen. Die Ausgangslage ist vertrackt.
Die Grünliberale gilt zwar als Favoritin. Wie bereits im ersten Wahlgang tritt Keller aber ohne Bündnis an. Mit Ausnahme der Mitte haben ihr die bürgerlichen Parteien die offizielle Unterstützung verweigert. Obwohl diese ihre Kandidierenden Eva Biland (FDP) und Stefan Suter (SVP) zurückzogen und begründeten, auf diese Weise Anina Ineichen und damit eine rot-grüne Mehrheit verhindern zu wollen.
Ineichen hingegen, deren Chancen man im ersten Wahlgang klar unterschätzt hat, profitiert von einer schlagkräftigen Allianz und von der Aufbruchstimmung im linken Lager. Man glaubt an die Möglichkeit, die rot-grüne Mehrheit in der Regierung zurückerobern zu können.
Wie mobilisieren die Abstimmungsvorlagen?
Dass am Sonntag neben dem zweiten Wahlgang für die Regierung auch mehrere wichtige Vorlagen zur Abstimmung kommen, macht die Situation noch komplexer. Auf nationaler Ebene wird über den Ausbauschritt 2023 für die Nationalstrassen abgestimmt. Dieser ist in Basel-Stadt vor allem wegen des Rheintunnels interessant. Weitere eidgenössische Vorlagen betreffen das Mietrecht und die einheitliche Finanzierung der Leistungen bei der Krankenversicherung.
Kantonal stehen die Musikvielfalt-Initiative, das Stimm- und Wahlrecht für Ausländerinnen und Ausländer und die Ausgabenbewilligung für die Durchführung des Eurovision Song Contest zur Abstimmung.
Der Rheintunnel könnte demnach für die Regierungswahl eine Schlüsselrolle einnehmen
Erfahrungsgemäss sind linke Stimmberechtigte diszipliniertere Urnengänger als bürgerliche. Das Einwohner-Stimmrecht, das Mietrecht und die Musikvielfalt-Initiative dürften diesen Trend zusätzlich verstärken.
Anders verhält es sich beim Rheintunnel – dieser mobilisiert links und rechts gleichermassen. Bürgerliche, politische Mitte und Wirtschaftsverbände sind klar dafür, die Linke ist offiziell dagegen.
Wobei es bei der SP, die das Anliegen ursprünglich unterstützte und erst später die Meinung änderte, einige Abweichler gibt. Zu den prominentesten gehört Hans-Peter Wessels. Er ist Esther Kellers Vorgänger im Bau- und Verkehrsdepartement.
Der Rheintunnel könnte demnach für die Regierungswahl eine Schlüsselrolle einnehmen. Wer Ja zur Abstimmungsvorlage sagt, macht auf dem Wahlzettel das Kreuz tendenziell bei Esther Keller. Wer Nein sagt, wählt hingegen vermutlich eher Anina Ineichen. Doch wie gross der Anteil der Rheintunnel-Befürworterinnen und -Gegner tatsächlich ist, lässt sich schwer beurteilen.
Bescheidener Bisherigen-Bonus
Die Spannung in Politik und Wirtschaft steigt und mit ihr die Nervosität. Im linken Lager sind die anfängliche Euphorie und das Vertrauen in die Einigkeit etwas gewichen. Wohl auch, weil gewichtige SP-Exponenten explizit (Alt-Regierungsrat Hans-Peter Wessels in der «bz») oder implizit (Alt-Ständerätin Anita Fetz im Telebasel) ihre Unterstützung für Esther Keller kundtaten.
Keller hatte auf eine Wahl im ersten Durchgang gehofft. Dass es nicht geklappt hat, hat erkennbar am Selbstbewusstsein der Grünliberalen gekratzt. Die Zuversicht bei Kellers Parteikolleginnen und -kollegen ist verhalten. Man weiss: Abwahlen haben in Basel eine gewisse Tradition.
Seit 1992 verpassten sieben Regierungsmitglieder die Wiederwahl. Im Nachbarkanton Baselland ist das die Ausnahme: 2011 drängte der Grüne Isaac Reber den SVP-Politiker Jörg Krähenbühl aus dem Gremium.
Aber vorher? Daran können sich die wenigsten erinnern. Es war Leo Mann, der im Jahr 1950 den Sitz abgeben musste. Insgesamt gab es im Baselbiet bis heute erst fünf Abwahlen.
Doppelter Wechsel vor vier Jahren
In Basel-Stadt kam es vor vier Jahren gleich zu zwei Wechseln: Die grüne Regierungspräsidentin Elisabeth Ackermann nahm sich nach dem schlechten Resultat im ersten Wahlgang selbst aus dem Rennen. Im zweiten Wahlgang lagen sowohl die Liberale Stephanie Eymann als auch Esther Keller vor dem Freisinnigen Baschi Dürr, der damit das Justiz- und Sicherheitsdepartement verlassen musste.
Baschi Dürr konnte Arithmetik geltend machen – die FDP verlor markant. Doch seine ruppige Art hat kaum geholfen, diesem Trend entgegenzuwirken. Ackermann wurden während ihrer Amtszeit schwache Auftritte vorgeworfen, zudem war sie in einen wüsten Streit mit dem freigestellten Direktor des Historischen Museums verwickelt.
Wie Ackermann gaben auch Hans Martin Tschudi im Jahr 2004 und Peter Facklam 1992 nach dem ersten Wahlgang auf. Tschudi wusste, dass ihm mit seiner Demokratisch-Sozialen Partei die Basis fehlen und er kaum Chancen haben würde.
«Hamatschu» musste schon bei der Jahrtausendwende in den zweiten Wahlgang – zusammen mit den Bisherigen Barbara Schneider und Veronica Schaller. Letztere schied überzählig aus.
Schaller verspielte sich Stimmen wegen eines Konflikts rund um das Kunstmuseum. Sie bestimmte einen Nicht-Basler zum Direktor, was ihr Kritik einbrachte. Bei der Zentralwäscherei gab es ebenfalls Probleme.
1992 noch mit dem besten Resultat neu in die Regierung gewählt, musste Baudirektor Christoph Stutz nach einer Legislatur schon wieder gehen. Ihm wurde ein eigenmächtiger Arbeitsstil nachgesagt – unter anderem damit habe er seine Wählerinnen und Wähler vergrault.
Sanitätsdirektor Remo Gysin musste sich 1992 ebenso unfreiwillig verabschieden. Er räumte rückblickend «offene Baustellen» ein, konkret Differenzen mit Chefärzten und der Pharma. Vor allem aber hatte seine Partei, die SP, mit Veronica Schaller eine dritte Kandidatin gestellt und damit eine Rochade innerhalb der Partei in Kauf genommen.
Keller passt nicht ins Muster
Vor Gysin hatten weitere sieben Amtsträger seit der Kantonsverfassung von 1875 eine Abwahl erlitten. Die meisten lassen sich durch problematische Geschehnisse oder schwierige parteipolitische Ausgangslagen erklären.
Esther Keller würde nicht so recht ins Muster passen. Sie war in ihren vier Amtsjahren in keinen eigentlichen Skandal involviert. Die Kritik beschränkt sich im Wesentlichen auf ihre Begrünungs- und Mobilitätsstrategie und die langen Wartezeiten beim Bauinspektorat.
Ihre eigene Wählerbasis ist klein. Dennoch sollte es rechnerisch für sie aufgehen, wenn vom liberalen Flügel der SP bis nach rechts für Keller eingelegt wird. Wenn.
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Hinweis: Dieser Artikel wurde zuerst im Basler Newsportal «OnlineReports» publiziert.