Als Gemeindepräsident bekommt Ferdinand Pulver keine Invalidenrente
Der querschnittsgelähmte FDP-Politiker aus Reinach BL kämpft für seine Rechte vor dem Kantonsgericht – und wenn es sein muss bis vor Bundesgericht.
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Das Wichtigste in Kürze
- Der Reinacher Gemeindepräsident Ferdinand Pulver sitzt im Rollstuhl.
- Daher erhält er schon seit Jahren eine IV-Rente.
- Diese wurde dem FDP-Politiker nun gestrichen. Der Grund: das Gemeindepräsidium.
- Pulver will das Ganze nicht auf sich sitzen lassen und wehrt sich nun dagegen juristisch.
Als Ferdinand Pulver Ende April 2007 nach einem Motorradunfall im Schwarzwald aus dem Koma erwacht, weiss er nicht, wo er ist, wird künstlich beatmet und kann sich nicht bewegen. Er ist 41 Jahre alt und querschnittgelähmt.
Nach vier Wochen auf der Intensivstation des Unispitals Basel wird ihm bewusst: Ich habe überlebt, nun mache ich etwas daraus!
Noch vom Spitalbett aus sucht Pulver nach einem Haus, findet ein passendes in Reinach und lässt es rollstuhlgerecht umbauen. Seinen Job als Grafiker kann der Selbstständigerwerbende weiterhin ausüben – die Invalidenversicherung spricht ihm eine halbe Rente von rund 1400 Franken pro Monat zu. Zudem zahlt ihm seine Unfallversicherung monatlich 1000 Franken.
2018 tritt Pulver den Freisinnigen bei – nur zwei Jahre später wird er in Reinach in den Gemeinderat gewählt. 2021 übernimmt der Mann im Rollstuhl die Führung der FDP Baselland und gibt diese 2024 wieder ab, weil er als Gemeindepräsident kandidiert.
Pulver schafft die Wahl und ist damit einer von wenigen Menschen mit Behinderung in einem politischen Amt. Die Freude über seinen Erfolg währt allerdings nicht lange: Die IV streicht dem heute 59-Jährigen per Ende 2024 die Rente – wegen des Gemeindepräsidiums.
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«Das hatte ich nicht erwartet. Es hat mir sehr zu denken gegeben», sagt Pulver im Gespräch mit «OnlineReports». Er sitzt in einem Restaurant in Basel, neben ihm sein Anwalt Patrick Wagner. Er habe alle Reglemente gelesen und sich anschliessend proaktiv bei der IV gemeldet, erzählt der Politiker.
Da es sich beim Gemeindepräsidium um ein 50-Prozent-Pensum handelt, sei er davon ausgegangen, dass er die IV-Rente weiterhin bekommen werde.
Die IV-Stelle Baselland begründet ihren Entscheid damit, dass Pulver ohne die gesundheitlichen Einschränkungen in einer Tätigkeit als Grafiker ein Jahreseinkommen von 90'443 Franken erzielen könnte, wie es in der Verfügung vom 6. Dezember 2024 heisst.
Sie stützt sich dabei auf die Schweizerische Lohnstrukturerhebung des Bundesamts für Statistik aus dem Jahr 2022. Als Gemeindepräsident von Reinach verdient Pulver jährlich 107'452 Franken. Weil das mehr ist als das berechnete Jahresgehalt, habe er keinen Anspruch auf eine IV-Rente.
«Hätte ich das gewusst, hätte ich möglicherweise nicht fürs Gemeindepräsidium kandidiert», sagt Pulver. In seinem Amt als Gemeindepräsident bewege er sich zeitweise an seiner Leistungsgrenze.
Eine Verschlechterung seiner gesundheitlichen Situation könnte schlimmstenfalls dazu führen, dass er kurzfristig zurücktreten müsse. «Das beschäftigt mich, weil ich da schnell ohne Einkommen wäre.»
Der Kampf soll sich nicht wiederholen
Pulver stört sich auch daran, dass die IV-Stelle nur das Brutto-Einkommen berücksichtige und dabei die Abgaben an seine Partei von jährlich mehreren Tausend Franken und Mehrausgaben für Kleidung, Reisekosten oder Mitgliederbeiträge ausblende.
Die IV-Stelle ist sich «der speziellen Situation dieser Revision bewusst» und weist denn auch darauf hin, dass es «angezeigt wäre», sich wieder bei der IV anzumelden, sollten sich Veränderungen «hinsichtlich Ihres derzeitigen Amtes und Ihres damit einhergehenden Lohnes ergeben».
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Es ist davon auszugehen, dass Pulver, sollte er von seinem Amt zurücktreten oder bei der Gesamterneuerungswahl 2028 nicht bestätigt werden, wieder eine IV-Rente zugesprochen bekäme. Doch darauf will es der Reinacher Gemeindepräsident nicht ankommen lassen.
Nur mit juristischer Hilfe habe er damals bei den Arbeiten an seinem Haus seinen Anspruch auf Umbauten geltend machen können. Das sei sehr anstrengend und emotional aufwühlend gewesen, sagt Pulver. «Ich will diesen Kampf nicht noch einmal führen müssen.»
Er will die Rente spenden
Zusammen mit seinem Anwalt Patrick Wagner hat Pulver nun beim Kantonsgericht Baselland Beschwerde gegen die Verfügung der IV eingereicht. Wagner argumentiert unter anderem damit, dass sich Pulver seit dem Unfall politisch weiterentwickelt habe und «mehr verdienen könnte», als die IV damals aufgrund seines Berufs berechnet hat.
Wagner stellt sich auf den Standpunkt, dass Pulver sogar Regierungsrat hätte werden können. «Hätte mein Mandant 2023 sich als Kandidat für die Nachfolge von Thomas Weber zur Verfügung gestellt, wäre die Wahrscheinlichkeit gross gewesen, dass die Bürgerliche Allianz ihn anstelle der schliesslich gescheiterten SVP-Nationalrätin Sandra Sollberger nominiert hätte.»
Pulver wisse aber «sehr genau», was die Aufgaben eines Regierungsrates sind. «Diese hätten ihn als Paraplegiker überfordert. Deshalb konnte er sich nicht zur Verfügung stellen.» Das Jahresgehalt eines Regierungsrats im Kanton Baselland liegt zu Beginn bei rund 200'000 Franken.
Pulver geht es nicht primär ums Finanzielle, wie er betont. Sollte er vor Gericht gewinnen, möchte er die seit Amtsantritt fälligen Renten der Schweizerischen Paraplegiker-Stiftung spenden.
Ihm gehe es vor allem um die Signalwirkung, sagt Pulver. Die IV erschwere Menschen mit Behinderung den Zugang zu einem politischen Amt und «schliesst sie damit teilweise von der Gesellschaft aus».
Das sei verheerend – für die Betroffenen, aber auch für die Demokratie. Zumal es insbesondere auf kommunaler Ebene nicht einfach sei, politische Posten zu besetzen. «Anstatt unsere Bereitschaft zu fördern, legt man uns Steine in den Weg.»
Maya Graf kritisiert Fehlanreize
Maya Graf ist Co-Präsidentin von Inclusion Handicap, dem Dachverband der Behindertenorganisationen Schweiz. Die Baselbieter Ständerätin kann Pulvers Enttäuschung nachvollziehen. Es sei gut, dass er die Angelegenheit vor Gericht klären wolle, sagt sie.
«Solche Verfügungen führen dazu, dass Menschen mit Behinderung keinen Anreiz haben, einen besseren Job oder eben ein politisches Amt zu übernehmen, weil sie damit rechnen müssen, dass ihnen die Rente gestrichen wird.»
Die Grüne weist darauf hin, dass die IV seit Jahren politisch unter Druck stehe – unter anderem wegen der schlechten Finanzlage und Missbrauchsfällen in der Vergangenheit – und deshalb ein «rigoroses System» aufgebaut habe.
Die negativen Anreize der IV beschäftigen auch das Bundesparlament. Der Walliser Mitte-Nationalrat Benjamin Roduit hat im vergangenen Dezember eine Motion eingereicht, mit dem Ziel, Fehlanreize zu beseitigen und «das Potenzial für die berufliche Wiedereingliederung auszuschöpfen».
Das Bundesgesetz über die Invalidenversicherung soll so angepasst werden, dass bei einem Rückfall innerhalb von drei Jahren, nachdem die Rente herabgesetzt oder aufgehoben wurde, wieder die ursprüngliche Rente ausbezahlt wird. Auch fordert Roduit, dass die IV den Invaliditätsgrad frühestens drei Jahre nach ihrem Entscheid überprüft.
In Zeiten von Fachkräftemangel und vielen neuen Renten müsse man unbedingt vermeiden, «dass Menschen durch negative Anreize von einer Erwerbstätigkeit abgehalten werden», begründet Roduit in seinem Vorstoss.
Pulver wartet nun das Gerichtsurteil ab. Fällt dieses für ihn negativ aus, wird er es wahrscheinlich ans Bundesgericht weiterziehen.
«In der Regel führe ich zu Ende, was ich begonnen habe», sagt er. Nach seinem Unfall habe er gelernt, zu kämpfen. Und niemals aufzugeben.
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Hinweis: Dieser Artikel wurde zuerst im Basler Newsportal «OnlineReports» publiziert.