Coronavirus: ETH-Forscherin passt Studie an und stützt Lockdown
Eine ETH-Studie zeigt: die Verbreitungsrate des Coronavirus stabilisierte sich erst während des Lockdowns. Dennoch herrscht bei Experten Uneinigkeit.
Das Wichtigste in Kürze
- Eine Studie der ETH zeigt, dass die Massnahmen des Bundes schon vor dem Lockdown griffen.
- Unter 1 stabil bleibt die Reproduktionsrate aber erst seit dem Lockdown.
- Um die Situation klarer darzustellen, passte das Team heute die Studie an.
Die Studie erstaunte vor rund zwei Wochen: gemäss einem Forscher-Team der ETH sank die Reproduktionsquote des Coronavirus in der Schweiz bereits vor dem Lockdown auf 1. Für Team um Prof. Tanja Stadler gute Nachrichten.
Denn eine Reproduktionsquote von 1 bedeutet eine lineare Ausbreitung des Virus, weil jeder Virenträger im Durchschnitt nur eine weitere Person ansteckt. Das ist zwar noch nicht ideal, aber immerhin kein exponentieller Anstieg, bei dem jede Person zwei oder mehr Personen ansteckt.
In der Folge entbrannte eine Diskussion unter den Experten: War der Lockdown, den der Bundesrat am 16. März verhängt hatte, nötig oder doch eher übertrieben? Stadler selber wurde in den Medien nicht müde zu betonen, dass sie den Lockdown für sinnvoll hält.
Die Zeitachse dürfe nicht überinterpretiert werden, sagte Stadler in einem Tamedia-Interview. Dies, weil unklar ist, wie lange die Zeit zwischen der Ansteckung und dem positiven Test jeweils gewesen sei. Ausserdem könne die Testkapazität pro Tag stark schwanken, was das Resultat ebenfalls beeinflusse.
St. Galler Chefarzt hält Lockdown für übertrieben
Gestern Sonntag schrieb Prof. Pietro Vernazza, Chefarzt Infektiologie am Kantonsspital St. Gallen, in einem Blog-Beitrag, der sich auf die Studie von Stadler und ihrem Team bezieht: «Präventionsmassmahmen haben bereits gewirkt, bevor die Lock-down Massnahmen umgesetzt wurden. Hygiene! Alles andere ist Zugabe.»
Vernazza stützt sich dabei nicht nur auf die ETH-Studie, sondern eine Untersuchung des Robert-Koch-Institutes, das für Deutschland einen ähnlichen Verlauf beobachten konnte. Auch hier, so Vernazza, gelte: Ausschlaggebend sei nicht der Zeitpunkt des Lockdowns gewesen, sondern die Einführung der Hygienemassnahmen und das Verbot der Grossveranstaltungen.
Unsicherheiten wurden nicht berücksichtigt
Stadler, als Haupt-Autorin der ursprünglichen Studie, teilt Vernazzas Schlussfolgerungen nicht. Gegenüber Nau.ch präzisiert sie: «Wir hatten in der Vergangenheit Grafiken, die wir mit Vorsicht geniessen mussten, da wir manche Unsicherheiten nicht explizit berücksichtigt hatten. Daher hatte ich mich mit zu konkreten Aussagen zurückgehalten». Nur eine Grösse sieht Stadler als robust: und zwar der Trend, dass die Reproduktionsrate abfällt.
Stabilisierung erst im Lockdown
Die Unsicherheiten, das gab das Forschungs-Team heute Montag bekannt, fliesse nun ebenfalls vermehrt in die Analyse ein: «Anstatt, dass wir einen fixen Zeitraum zwischen der Ansteckung und dem positiven Testresultat annehmen, gehen wir nun von einer Verteilung aus», heisst es auf der Webseite. «Dadurch verlaufen die Graphen jetzt viel glatter.»
Die Haupt-Schlussfolgerung, so Stadler, hat sich aber nicht verändert: «Wie Sie sehen, hat sich die Reproduktionsrate erst im Lockdown auf unter 1 stabilisiert.»
Seit knapp drei Wochen (also rund 10 Tage nach Lockdown-Beginn) liegt die Reproduktionsrate in der Schweiz nur noch wenig über 0,5. Bedeutet: Nur noch jeder zweite Infizierte steckt überhaupt eine weitere Person an. Das macht Hoffnung für die Exit-Strategie des Bundes aus dem Lockdown.