GLP zur Wohnungsnot: Braucht die richtige Qualität und Durchmischung
Die herrschende Wohnungsnot ist ein Thema, welches auch den Kanton Zug beschäftigt. Tabea Estermann (GLP) spricht im Interview über mögliche Lösungsansätze.
Das Wichtigste in Kürze
- Im Zuger Kantonsrat ist bei der nächsten Sitzung eine Motion zur Wohnungsnot traktandiert.
- Diese wird am 11. April voraussichtlich an den Regierungsrat überwiesen.
- Tabea Estermann (GLP) fordert ein nachhaltiges Bevölkerungswachstum.
Der Kanton Zug weist zusammen mit Genf die tiefste Leerwohnungsziffer (0,42) der ganzen Schweiz auf. Eine Motion im Kantonsrat will für Entspannung des Problems sorgen – diese wird am 11. April voraussichtlich an den Regierungsrat überwiesen.
Michel Arnold (FDP) gab Nau.ch gegenüber an, dass besonders die Baubewilligungsverfahren effizienter gestaltet werden müssten. Nun äussert sich Tabea Estermann (GLP) im Interview. Sie schlägt verschiedene Massnahmen vor, es brauche aber auch ein nachhaltiges Bevölkerungswachstum.
Nau.ch: Der Kanton Zug weist zusammen mit Genf die niedrigste Leerwohnungsziffer (0,42) schweizweit auf. Wie dringend sehen Sie Handlungsbedarf?
Tabea Estermann: Es herrscht eine konstante Wohnungsnot im Kanton Zug – seit vielen Jahren – da mehr Menschen hier wohnen möchten, als es Wohnungen zur Verfügung hat. Doch es braucht eine Differenzierung.
Dies ist ein sehr dringliches Problem für Menschen, die hier aufgewachsen und/oder verwurzelt sind und keine Wohnung finden. Hier besteht klar Handlungsbedarf, denn aufgrund der Wohnungsnot werden sie aus ihrem Umfeld herausgerissen oder können nicht am Arbeitsort wohnen und müssen stattdessen pendeln.
Jedoch ist es kein Menschenrecht, dass jede aussenstehende Person ohne Verwurzelung oder Arbeitsstelle im Kanton, die in Zug wohnen möchte, eine Wohnung haben kann. Das wäre auch nicht sinnvoll. Wenn alle Menschen, die – sind wir nicht naiv – nicht nur wegen der schönen Aussicht, sondern auch zum Steuern sparen nach Zug ziehen, würde das gewisse Gebiete entvölkern, während Zug rasant wachsen würde. Die Grünliberalen sind Wachstumsoptimisten und wir begrüssen ein nachhaltiges Bevölkerungswachstum, aber es braucht ein angemessenes Tempo und die richtige Qualität und Durchmischung.
«Wir finden Hochhäuser grossartig»
Nau.ch: Welche konkreten Massnahmen schlagen Sie vor?
Tabea Estermann: Ein Ansatz ist daher, mehr Angebot schaffen. Dies kann man erreichen, indem man einen Ausnützungsziffernbonus gibt, wenn mehr Wohneinheiten gebaut werden. Wer auf 120 Quadratmetern nicht nur eine Luxuswohnung, sondern drei kleine Wohnungen baut, sollte dafür belohnt werden, dass mehr Wohnfläche gebaut werden darf.
Ebenfalls kann man Anreize definieren, damit die Inhaber von unbebautem oder unterbebautem, also nicht optimal genutztem Bauland diese Kapazität ausnutzen. Auch befürworten die Grünliberalen höheres Bauen. Wir finden Hochhäuser grossartig und wir sollten den Bauherren nicht zu viele Steine in den Weg legen mit den Bebauungsplänen. Zusätzlich spielen Wohnbaugenossenschaften eine wichtige Rolle, da sie Kriterien wie Verwurzelung oder minimale Anzahl Personen pro Fläche definieren können in den Reglementen.
Auf der anderen Seite aber muss man sehen, dass nur mehr Angebot wie oben ausgeführt nicht zielgerichtet für die Personen mit Verwurzelung oder einer Arbeitsstelle im Kanton helfen kann, sondern jeder Person, die hier wohnen möchte. Der Kanton kennt daher bereits eine Subjektfinanzierung für Personen mit tiefen Einkommen, die seit mindestens drei Jahren im Kanton wohnen oder arbeiten und wenn sie in einer Wohnung sind, die höchstens zwei Zimmer mehr als Bewohnende ausweist. Dies ist ein wichtiges Instrument, damit sich alle Bevölkerungsgruppen die aufgrund der Knappheit teureren Wohnung leisten können. Das ist gut und richtig und muss weitergeführt und allenfalls ausgebaut werden.
«Löst noch nicht das Problem, dass Personen mit Verwurzelung oder Job im Kanton keine Wohnung finden»
Das löst aber noch nicht das Problem, dass die Personen mit Verwurzelung oder Job im Kanton keine Wohnung finden. Wir machen oft die Beobachtung, dass lokale Eigentümer, die eine Zweitwohnung bauen dürfen, diese eher an die WG der Jungen im Dorf vermietet anstatt an irgendeine aussenstehende Person ohne Bezug zu Zug. Unterägeri hat in der Ortsplanungsrevision in gewissen Zonen die Eigentümer an einen Tisch gebracht und einen gemeinsamen Ausbauplan definiert, mit Ausgleichszahlungen, damit die Eigentümer diesen Ausbau einfacher vornehmen und somit kleinräumig, qualitativ verdichten können.
Ebenso zieht Hünenberg ein interessantes Model in Betracht, dass Hauseigentümer einen Stock höher bauen dürfen, wenn sie eine zusätzliche Wohneinheit hinzufügen. Das Areal der Cham Group ist auch ein sehr gutes Beispiel für qualitativ hochwertige Verdichtung auf zuvor brachliegendem Land. Alles sind einzelne Puzzlestücke, die ihren Wert und Anteil haben.
«Eine durchmischte und diverse Wohnbevölkerung ist wichtig für den Kanton»
Nau.ch: Befürworten Sie Massnahmen gegen hohe Mietpreise, damit Menschen mit mittlerem bis geringem Einkommen auch eine Chance auf frei stehenden Wohnungen haben?
Tabea Estermann: Eine durchmischte und diverse Wohnbevölkerung ist wichtig für den Kanton und darum sind solche Unterstützungen für Personen mit geringem Einkommen, die eine Arbeitsstelle oder eine Verwurzelung haben, zentral.
Nau.ch: Bis wann erwarten Sie eine Entspannung der aktuellen Wohnungssituation in Zug bei entsprechenden Massnahmen?
Tabea Estermann: Artikel 24 der Bundesverfassung definiert die Niederlassungsfreiheit als das Recht jeder Person mit schweizerischer Staatsangehörigkeit, sich an jedem Ort des Landes niederzulassen. Die aktuelle Steuerpolitik ist in der Bevölkerung unbestritten, wie die Abstimmung der Steuersenkung vom Herbst 2023 mit einem Ja-Anteil von 72,3 Prozent gezeigt hat. Somit wird der sogenannte «Pull-Effekt» für Aussenstehende bestehen bleiben.
Es gibt eine Wohnungsknappheit, weil es mehr Nachfrage nach Wohnraum als Angebot an Wohnraum gibt. Solange neben der fix gegebenen Schönheit und geografischen «gäbigen» Lage nahe an Zürich die Steuern in Zug im Vergleich zu den anderen Kantonen so attraktiv sind, wird es immer mehr Menschen geben, die hier wohnen möchten, als es Wohnraum hat.
«Geht darum, gezielt die Not zu lindern und nicht, dass jeder, der möchte, in den Kanton Zug ziehen kann»
Aber wichtig ist, dass wir eine durchmischte Gesellschaft haben und Menschen, die hier arbeiten oder verwurzelt sind, eine Wohnung finden und zahlen können. Ausser es gibt eine generelle Wirtschaftskrise oder die anderen Kantone senken die Steuern für Privatpersonen oder wir erhöhen die Steuern, in Zug wird die Wohnsituation angespannt bleiben. Ersteres hofft niemand, zweiteres würden wir sehr begrüssen und drittes ist mit der aktuellen finanziellen Lage des Kantons keine Option. Es geht darum, gezielt die Not zu lindern und nicht, zu ermöglichen, dass jeder, der möchte, in den Kanton Zug ziehen kann.
Zur Person: Tabea Estermann (*1993) ist Präsidentin und Kantonsrätin der GLP Kanton Zug. Die dipl. Wirtschaftsprüferin ist Expertin für Finanzinstrumente und arbeitet als Controllerin in der Elektrizitätswirtschaft.