Wahlkampf

Wahlkampf im Kanton Basel-Stadt: Kalkül über Inhalt

Strategische Überlegungen prägen die Regierungs-Ersatzwahl. Welche Taktiken verfangen, und welche nicht – die grosse Analyse in vier Punkten.

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Machtansprüche, Kräfteverschiebungen und neue Allianzen: Jérôme Thiriet, Mustafa Atici, Conradin Cramer und Luca Urgese. - OnlineReports.ch / Jan Amsler

Das Wichtigste in Kürze

  • Am 3. März findet in Basel-Stadt eine Regierungsrats-Ersatzwahl statt.
  • Durch die Nominierung eines eigenen Kandidaten schlugen die Grünen im Vorfeld hohe Wellen.
  • War dieser Entscheid richtig? Diese und weitere Fragen beantwortet diese Analyse.

Es musste alles schnell gehen. Am 13. Dezember wurde der frühere Basler SP-Regierungspräsident Beat Jans zum Bundesrat gewählt.

Noch vor Weihnachten präsentierten die Parteien ihre Kandidaten für die Ersatzwahl am 3. März. Für ausgeklügelte inhaltliche Wahlprogramme mit klaren Schwerpunkten blieb keine Zeit, es überwogen taktische Überlegungen.

Auch wenn das bürgerliche Duo Luca Urgese und Conradin Cramer mit Themen wie der «Wohnraumblockade» oder Steuerentlastungs-Paketen ansatzweise versucht, inhaltliche Akzente zu setzen, geht es im Wahlkampf nach wie vor vor allem um Strategien, um Kalkül.

Wie die Diskussionen von politischen Vertreterinnen und Vertretern und Medienschaffenden in den vergangenen Wochen gezeigt haben, scheinen vier Fragen besonders zu beschäftigen:

- Ist es richtig, dass die SP mit Mustafa Atici antritt?

- Ist es richtig, dass die Grünen auf eine eigene Kandidatur setzen?

- Ist es richtig, dass die Bürgerlichen mit der SVP zusammenspannen?

- Ist es richtig, dass die Grünliberalen sich nicht positionieren?

Die Antworten darauf sagen viel über den aktuellen Stand der Basler Parteienlandschaft aus. Über Machtansprüche, Kräfteverschiebungen und neue Allianzen. Über die Identifikation mit den eigenen politischen Grundsätzen.

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Verlegenheitskandidatur? Mustafa Atici. - OnlineReports.ch / Jan Amsler

Ja, es ist richtig, dass die SP mit Mustafa Atici antritt

Weil über 50 Prozent der Menschen, die in Basel-Stadt leben, einen Migrationshintergrund haben und diese Bevölkerungsgruppe nicht in der Regierung vertreten ist. Mit Mustafa Atici erhielten sie dort eine Stimme.

Als 23-jähriger Industrie-Ingenieur kam Atici in die Schweiz, studierte hier weiter, baute ein Unternehmen auf und schaffte es als Politiker bis in den Nationalrat. Ihm haben Selbstständigerwerbende in Basel zu verdanken, dass auch sie Kinderzulagen erhalten.

Er kennt die Wege der Integration, die Bedürfnisse der Migrantinnen und Migranten und die Anforderungen, denen sie im Schweizer System zu entsprechen haben. Er kann ihnen auch vermitteln, was von ihnen verlangt wird. Etwa, dass an der Gleichstellung der Geschlechter nicht zu rütteln ist.

Aticis Kandidatur ist aber auch richtig, weil die politische Partizipation von Menschen ausländischer Herkunft zu den Kernanliegen der SP-Politik gehört. Insofern wäre eigentlich zu erwarten gewesen, dass die Basler Sozialdemokraten selbst auf die Idee kommen, Atici als Kandidat vorzuschlagen.

Aus Überzeugung, dass die Zeit für das erste Regierungsmitglied mit direktem Migrationshintergrund gekommen ist. Wie etwa im weitaus konservativeren Kanton Luzern. Dort wurde im vergangenen Mai SP-Politikerin Ylfete Fanaj als erste Regierungsrätin mit kosovarischer Herkunft gewählt.

Die Basler SP hatte aber jemand anderes für die Ersatzwahl vorgesehen. Nicht Atici. Wunschkandidatin war die frühere Grossratspräsidentin Salome Hofer – ein sicherer Wert, um den Machtanspruch der Partei mit drei Regierungssitzen weiterhin durchzusetzen.

«Mit Salome wären wir durchmarschiert», sagt ein Parteimitglied im Gespräch mit «OnlineReports». Und bestätigt: Nur weil die 37-Jährige abgesagt hat, ist Atici zum Zug gekommen. Nur wegen Hofers Verzicht verlässt Basels stärkste Partei die Komfortzone und geht ein Wagnis ein.

Damit hat es die SP verpasst, ein klares Signal an ihre Wählerinnen und Wähler auszusenden. Stattdessen wirkt Aticis Kandidatur wie eine Verlegenheitslösung. Das wird ihm nicht gerecht.

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Provokation? Jérôme Thiriet. - OnlineReports.ch / Alessandra Paone

Ja, es ist richtig, dass die Grünen auf eine eigene Kandidatur setzen

Selbst wenn sie damit die SP, ihre langjährige Verbündete, verärgern.

Weil bei einer Vakanz der Anspruch der Partei, die den Sitz davor innehatte, nicht bestehen bleibt. Der Sitz ist nicht mehr ein SP-Sitz, sondern ein freier Sitz. Die Karten werden neu gemischt; jede Partei darf kandidieren.

Abgesehen davon ist es legitim, dass die Grünen als drittstärkste Partei mit einem Wähleranteil von schätzungsweise 12 oder 13 Prozent Anspruch auf einen Sitz erheben. Zum Vergleich: Die nur leicht grössere LDP (14,1 Prozent) ist seit den Gesamterneuerungswahlen 2020 mit zwei Sitzen in der Kantonsregierung vertreten. Und die deutlich kleinere GLP (7,8 Prozent) stellt seit vier Jahren ebenfalls eine Regierungsrätin. Mit einem Wähleranteil von 30 Prozent kann man auch die SP mit ihren drei Mandaten als übervertreten betrachten.

Wie die Grünen Schweiz hat auch die Basler Sektion gemerkt, dass Worten Taten folgen müssen. Wer Macht will, muss darum kämpfen. Die Grünen sind gefordert, bei jeder Vakanz anzutreten und dabei niemanden zu schonen.

Von der Schwesterpartei Basta haben sie sich bereits losgelöst. Nun ist es Zeit, sich von der SP zu emanzipieren, sonst werden sie nur die Juniorpartnerin bleiben.

Bündnis funktioniert nicht nur einseitig

Die Grünen machen der SP deutlich, dass ein Bündnis nicht nur einseitig funktioniert. Und dass es nicht an der SP ist zu entscheiden, wann der richtige Zeitpunkt für einen Angriff gekommen ist. Die Chancen der Grünen auf einen Sitzgewinn sind bei der Ersatzwahl im Frühjahr grösser als bei den Gesamterneuerungswahlen im Herbst.

Mit einem eigenen Kandidaten können die Grünen zusätzliche Wählerinnen und Wähler mobilisieren. Dass es funktioniert, zeigen die Spenden für den Wahlkampf: Wie aus dem Umfeld der Partei zu vernehmen ist, konnten Kandidat Jérôme Thiriet und sein Team rund 45'000 Franken einnehmen.

Die Mobilisierung hilft am Ende auch der SP, zumal sich im zweiten Wahlgang – dazu wird es höchstwahrscheinlich kommen – die Reihen im rot-grünen Lager schliessen dürften.

Die Sozialdemokraten unter Präsidentin Lisa Mathys hätten diese Herausforderung im Sinne eines «Möge der Bessere gewinnen» annehmen sollen, statt betupft zu reagieren.

Sollten sowohl Thiriet als auch Atici im ersten Wahlgang floppen, besteht immer noch die Möglichkeit, sich auf einen neuen gemeinsamen Kandidaten – oder eine Kandidatin – zu einigen.

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Zweck-Liaison? Urgese und Cramer mit ihren Fürsprechern. - OnlineReports.ch / Alessandra Paone

Ja, es ist richtig, dass die Bürgerlichen mit der SVP zusammenspannen

Weil sie nur dann eine reelle Chance haben, die Mehrheit zurückzuerobern, wenn alle Parteien rechts der Mitte gemeinsam antreten.

Die bürgerliche Allianz schöpft all ihre Möglichkeiten aus: Mit der SVP im Boot hat sie einen Alleingang der Rechtspartei verhindert, der unweigerlich zu einer Verzettelung der Stimmen geführt hätte. Sie bringt mit dem Freisinnigen Luca Urgese den richtigen Kandidaten, weil moderat, kompromissfähig und dossiersicher.

Zudem dient Conradin Cramers Kandidatur als Booster. Der LDP-Erziehungsdirektor scheint der perfekte Mann fürs Regierungspräsidium zu sein. Sogar Linke erwägen, ihn zu wählen.

Einen Haken hat das Bündnis: FDP, LDP und Mitte müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, mit einer Partei gemeinsame Sache zu machen, die sich öffentlich bewusst fremden- und genderfeindlich äussert. Wobei weder Urgese noch Cramer Gefahr laufen, als SVP-Hampelmänner wahrgenommen zu werden. Sie sind klar als konsensorientierte Bürgerliche positioniert.

Gleichzeitig hätte ein Ausschluss der SVP vermutlich zur Folge gehabt, dass sie sich weiter isoliert und radikalisiert. Als Mitglied eines Bündnisses sind ihre Exponentinnen und Exponenten hingegen zu einem gemässigteren Auftritt verpflichtet, was in den sozialen Medien bereits zu spüren ist. An einer eingemitteten SVP sollten im offenen und grenznahen Kanton Basel-Stadt alle Parteien interessiert sein.

Ja, es ist richtig, dass die GLP sich aus dem Wahlkampf heraushält

Weil sie im Herbst den Sitz von Esther Keller verteidigen muss. Es wäre verheerend, sich jetzt links oder rechts zu positionieren. Um bei den Gesamterneuerungswahlen Allianzen eingehen zu können, müssen die Grünliberalen frei sein.

Obschon es für die GLP und Kellers Wiederwahl von Vorteil wäre, wenn Atici gewählt würde. Dann würde sich die SP als grösste Partei im Kanton im Herbst darauf konzentrieren, ihre drei bisherigen Regierungssitze zu verteidigen, statt Keller den Sitz streitig zu machen. Die Grünliberalen werden sich aber hüten, dies öffentlich zu sagen.

Offenbar hat man sich in der GLP auch daran gestört, dass sich Grossrat Bülent Pekerman in Aticis Komitee engagiert. Dies sei nicht mit der Partei abgesprochen gewesen. Wie zu hören ist, sind auch die Grünen auf GLP-Mitglieder zugegangen, um sie für Thiriets Komitee zu gewinnen. Einige hätten scheinbar gerne zugesagt, dann aber mit Verweis auf eine parteiinterne Abmachung abgesagt.

Das politische Gefüge ist im Umbruch

Die Antworten auf die Fragen zeigen, dass das politische Gefüge im Stadtkanton im Umbruch ist. Allianzen sind flexibel, politische Abmachungen befristet.

***

Hinweis: Dieser Artikel wurde zuerst im Basler Newsportal «OnlineReports» publiziert.

Kommentare

User #6526 (nicht angemeldet)

Frage für einen Freund gibt es in Basel keine Schweizer mehr?

User #2259 (nicht angemeldet)

Rote und grüne Tomaten, etwas anderes gibt’s in Basel nicht.

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