«Gratis-Studium für abgewiesene Islamisten?» und ein blutiges Messer – damit wird in Zürich Stimmung gegen das Bildungsgesetz gemacht. Ist dies strafbar?
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Das Egerkinger Komitee kämpfte in der Vergangenheit gegen Minarette und Burkas und hat so antimuslimischen Rassismus salonfähig gemacht. - Tsüri.ch / Isabel Brun

Das Wichtigste in Kürze

  • Am 22. September wird im Kanton Zürich über das Bildungsgesetz abgestimmt.
  • Dieses soll vorläufig Aufgenommenen eine bessere Perspektive auf dem Arbeitsmarkt bieten.
  • Doch im Vorfeld der Abstimmung wurden geschmacklose Flyer verteilt.
  • Damit bewege sich das Egerkinger Komitee, der Urheber der Aktion, am Rande des Strafbaren.
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In Briefkästen im Kreis 3 sind letzte Woche Flyer mit einer fragwürdigen Bild- und Textsprache aufgetaucht. Während einige darin feindliche Hetze sehen, begrüssen rechte Politiker die Aktion.

«Gratis-Studium für abgewiesene Islamisten? Bildungsgesetz Nein» prangt in grossen Lettern auf einem A4-Blatt. Abgebildet sind ein Messer und Blut.

Auf der Rückseite ist von Messerstechereien, Gewalttaten von Menschen, die in der Schweiz Asyl suchen, und hohen Kosten für Steuerzahlende die Rede. Der Absender, kein Unbekannter: das Egerkinger Komitee.

Hinter dem 2006 gegründeten Verein stehen SVP- und EDU-Politiker und Politikerinnen. Besonders aktiv waren sie im Abstimmungskampf für die sogenannte «Burka-Initiative» im Jahr 2021 und als die Schweizer Stimmbevölkerung 2009 über das Verbot von Minaretten entscheiden konnte.

Beides Abstimmungen, die das Komitee gewann. Seit Jahren kämpfen die Mitglieder gegen die vermeintliche «Islamisierung» der Schweiz – und machen antimuslimischen Rassismus damit salonfähig, schrieb die WOZ.

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Schon in der Vergangenheit ist das sogenannte Egerkinger Komitee mit provokativen Plakaten negativ aufgefallen. (Archivbild) - keystone

Ihr neuestes Ziel: Die Abstimmung über die Änderung des Bildungsgesetzes, über die Zürcher Stimmberechtigte am 22. September abstimmen. Der Änderungsvorschlag soll schlussendlich die Perspektiven von jungen Ausländern mit dem Status F verbessern.

Den Status F erhalten Personen, deren Asylgesuch zwar abgelehnt wurde, die aber nicht in ihr Heimatland ausreisen können. Dies, weil eine Rückkehr nicht möglich oder nicht zumutbar ist – etwa wegen eines Krieges.

Neu sollen vorläufig Aufgenommene von Anfang an ein Stipendium beantragen können, statt fünf Jahre darauf warten zu müssen. Gegen diese Änderung hat die SVP das Referendum ergriffen, deshalb kommt es zur Abstimmung. Unterstützt wird die Partei von FDP und EDU sowie ausserparteilichen Vereinen wie dem Egerkinger Komitee.

SVP begrüsst Flyeraktion

Das freut nicht alle gleichermassen. So sorgt der vom Verein verteilte Flyer auch für Empörung. Nicht nur, weil er so kurz vor der Abstimmung in den Briefkästen landete.

Michelle Halbheer, Co-Präsidentin der Mitte Partei Kanton Zürich, verurteilt die gewählte Rhetorik. «Das Egerkinger Komitee hetzt gegen Ausländer und schürt Angst. Damit überschreiten sie klar eine Linie», sagt Halbheer.

Die SVP gibt zu Protokoll, dass sie nicht aktiv mit dem Egerkinger Komitee zusammenarbeite. Aber: Die Aussagen würden leider der Realität entsprechen, sagt Domenik Ledergerber, Präsident der SVP Kanton Zürich. «Fast täglich kommt es zu Gewalttaten von Asylbewerbern, oft auch von Abgewiesenen. Kriminelle Asylbewerber gefährden die Sicherheit der Schweiz und sollten nicht noch mit einem Gratis-Studium belohnt werden», sagt er.

Flugblatt an Grenze zum Strafbaren

Dem widerspricht die Mitte-Politikerin: «Gegen Menschen, die sich integrieren und etwas zur Gesellschaft beitragen wollen, dürfen wir nicht hetzen – diese müssen wir unterstützen.»

So sieht es auch die Zürcher SP-Nationalrätin Céline Widmer: «Das Plakat suggeriert, dass alle migrantische Personen straffällig sind. Es hetzt explizit gegen Muslime. Das ist jenseits von Gut und Böse.»

Zudem würde das Egerkinger Komitee bewusst Tatsachen verdrehen, indem es von «abgewiesenen Asylbewerbern» statt von «vorläufig Aufgenommenen» spreche.

Klare Worte findet auch die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKR). «Der Flyer zielt klar darauf ab, Angst und Ablehnung gegen Asylsuchende und Muslime zu schüren.»

Bist du für das Bildungsgesetz, über das am 22. September im Kanton Zürich abgestimmt wird?

Ob der Inhalt strafbar sei, sei jedoch nicht eindeutig, da auf dem Flyer von «Asylsuchenden» und «Islamisten» die Rede ist. Diese Begriffe zielen auf den Rechtsstatus und eine Ideologie ab, die Strafnorm gegen Diskriminierung und Aufruf zu Hass erfasst, aber ausschliesslich «Rasse, Ethnie, Religion oder sexuelle Orientierung». Die zuständigen Strafverfolgungsbehörden müssten dennoch prüfen, ob allenfalls trotzdem ein Verfahren zu eröffnen wäre, heisst es auf Anfrage.

«Der Flyer bewegt sich an der Grenze zum Strafbaren», schreibt die EKR. Der Inhalt sei «irreführend, unsachlich und vermische auf eine perfide Art vorläufig aufgenommene Asylsuchende mit Islamisten». Damit werde suggeriert, dass vorläufig Aufgenommene alle kriminell und gewalttätig seien.

Auf all diese Tatsachen geht die Argumentation auf dem Flugblatt nicht ein und sie verschieben die Grenze des Sagbaren weiter. Wie viele solche Flyer das Egerkinger Komitee verteilt hat und wo überall, bleibt unbeantwortet. Die Verantwortlichen reagierten auf mehrere Kontaktaufnahmen nicht.

Generell beobachte die EKR, dass der Ton im Vorfeld von Wahlen und Abstimmungen aggressiver werde. Statt eine faire Diskussion zu fördern, führe solche Stimmungsmache zu Polarisierung und schade einem respektvollen Zusammenleben.

Vorläufig Aufgenommene bleiben in der Schweiz

Laut Zahlen des Bundes bleiben bis zu über 80 Prozent der Menschen, die vorläufig aufgenommen werden, längerfristig oder gar für immer in der Schweiz. Aufgrund der Situation in ihrem Heimatland können sie nicht zurückgeschickt werden. Aktuell betrifft dieser Status F vor allem Menschen aus Syrien, Afghanistan, Somalia und Eritrea.

Für deren Integration haben sich 2019 Bund und Kantone mit der «Integrationsagenda Schweiz» verpflichtet. Darin wurde beschlossen, die berufliche und soziale Integration von vorläufig aufgenommenen geflüchteten Menschen zu fördern.

Die finanziellen Auswirkungen bei einer Annahme der Gesetzesänderung schätzt der Regierungsrat als klein ein. Im Jahr 2023 haben rund 220 vorläufig aufgenommene Personen Ausbildungsbeiträge bezogen. Dies entspreche rund vier Prozent aller Stipendienbezüger im Kanton.

Der Regierungsrat geht von einer Verdoppelung der Bezüger aus, was zu Mehrkosten von rund drei Millionen Franken führen könnte. Im Gegenzug könnten die Gemeinden finanziell entlastet werden, weil die Kosten für Sozialhilfe längerfristig dank besserer Integration gesenkt werden. Eine Explosion der Stipendienanträge sei nicht zu erwarten, ordnet auch der «Tages-Anzeiger» ein. Derzeit leben im Kanton Zürich 7400 vorläufig Aufgenommene.

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Hinweis: Dieser Artikel ist zuerst bei «Tsüri.ch» erschienen. Autorin Lara Blatter ist Co-Geschäftsleiterin und Redaktorin beim Zürcher Stadtmagazin.

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