Bundesliga – Ex-Ethikrats-Chef: «Man kann Kalou dankbar sein»
Das Wichtigste in Kürze
- Der Ex-Ethikrats-Chef Peter Dabrock übt heftige Kritk am Neustart der Bundesliga.
- Für ihn sind die Entscheidungen «von Profitinteressen geleitet».
- Der Fall Kalou offenbart seiner Ansicht nach die Schwachstellen im Bundesliga-Konzept.
Der langjährige Ethikrats-Vorsitzende Peter Dabrock (56) kritisiert den Neustart der Bundesliga und die DFL-Pläne scharf. Im Fall Salomon Kalou erkennt der Theologie-Professor die «Scheinheiligkeit des gesamten Konzeptes. Es ist von vorne bis hinten nicht durchdacht. Und es wird eine fatale Wirkung auf das gesamte Einhalten der Einschränkungen haben», so Dabrock zur «dpa».
Frage: Die Mehrheit der Deutschen ist gegen eine Fortsetzung der Fussball-Bundesliga während der Corona-Krise. 50 Prozent sprachen sich in einer Umfrage von infratest dimap für den «ARD-DeutschlandTrend» gegen einen Neustart der Bundesliga und 2. Liga ohne Zuschauer aus. Dennoch gibt es genug Fans, die sich auf einen Neustart freuen.
Peter Dabrock: Ich käme nicht auf die Idee, den Zuschauern irgendeinen Vorwurf zu machen, das hielte ich für Moralismus. Mir geht es darum zu kritisieren, wie die Verantwortlichen der Bundesliga ein Lobby-Projekt durchgesetzt haben. Damit setzen sie die Solidarität im Lande einem erheblichen Stresstest aus. Das verurteile ich.
Ist es vernünftig, die Bundesliga wieder aufzunehmen?
Frage: Kann man der Deutschen Fussball Liga denn vorwerfen, dass sie um ihre Existenz kämpft und Lobby-Arbeit betreibt?
Peter Dabrock: Dass jedes Wirtschaftsunternehmen darauf schaut, dass es überleben kann, ist einerseits das Natürlichste der Welt. Die andere Frage ist, was man dafür aufs Spiel setzt und welche Alternativen man hat.
Der europäische Fussball ist im Grunde inzwischen nur noch von der Internationalität her zu verstehen. Da hätte man auch überlegen können, ob man nicht eine gemeinsame europäische Strategie hinbekommt. Es wäre denkbar gewesen, dass sich das System Fussball-Europa auf eine Pause bis zum Beginn der nächsten Saison einigt. Also eine paneuropäische Einigung.
Bundesliga folgt einem «halbgaren Konzept»
Frage: Fällt der Bundesliga eine Sonderrolle zu, die sie stets versucht hat, von sich zu weisen?
Peter Dabrock: Natürlich gibt es ein nationales Interesse, dass die Bundesliga als eine der stärksten Ligen der Welt weiter existiert. Aber es ist nicht im nationalen Interesse, das in mehrfacher Hinsicht diese Bundesliga ein Vorzugsgeschehen erfährt. Zumal es die anderen im nationalen Interesse liegenden grossen Aufgaben erheblich gefährdet.
Die Politik hat sich hier von einem wirklich halbgaren Konzept und der dahinterstehenden Lobby-Arbeit vereinnahmen lassen. Das kann sich, aus medizinischen Gründen oder weil die Anspannung im Land steigt, als verheerend erweisen.
Frage: Warum halten Sie das DFL-Konzept für halbgar?
Peter Dabrock: Es geht um drei Fragen. Warum akzeptiert man so etwas? Wie führt man so etwas durch? Und was sind die Konsequenzen daraus?
In jeder dieser drei Hinsichten scheitert das Konzept. Es werden Bedingungen akzeptiert, die wir in allen anderen Bereichen des Corona-Lebens nicht akzeptieren. Das Mantra lautet: kein Kontakt, Abstand, Hygiene, Schutz.
Aber dann lässt man ausgerechnet eine Sportart zu, in der all das notorisch nicht eingehalten werden kann? Da fragen sich die Menschen: Warum muss ich mich in meinem Bereich an solche Einschränkungen halten? Die Bundesliga fängt jetzt einfach an, und alle anderen Menschen müssen noch bis zum 5. Juni diese Kontaktsperre einhalten.
«Man kann Kalou im Grunde dankbar sein»
Frage: Die Politik sieht keine grundsätzlichen Vorbehalte gegen die Wiederaufnahme des Spielbetriebs. Und man rückte auch von der zunächst geplanten Forderung einer zweiwöchigen Quarantäne für die Vereine ab.
Peter Dabrock: Ein anderes Mantra lautete doch: Wir wollen keine bevorzugte Behandlung. Doch plötzlich ist die medizinische Notwendigkeit dieser 14 Tage vom Tisch, auch gibt es kein Containment mehr, wie anfangs versprochen. Das sind keine Beiträge zur Glaubwürdigkeit.
Frage: Salomon Kalou hat am Montag Szenen aus der Umkleidekabine der Hertha gefilmt und live verbreitet. Auf den Aufnahmen war unter anderem zu sehen, wie er Teamkollegen die Hand gab. Hertha suspendierte den Stürmer, dieser entschuldigte sich für sein Verhalten. Müsste man sich nicht eigentlich bei Kalou bedanken, dass er die Schwachstellen offengelegt hat?
Peter Dabrock: Es ist eine äusserst angespannte, komplexe und erkennbar durch reine Profitinteressen geleitete Gemengelage. Da werden junge Menschen plötzlich zur Verantwortung gezogen und als Sündenböcke deklariert. Hier wird deutlich, wie bis zur Verlogenheit die Umsetzung dieses Konzeptes doppelzüngig ist.
Dieser junge Mann hat sich vielleicht einfach so verhalten, wie sich ein junger Mann eben verhält. Das ist nicht richtig. Aber es zeigt, auf wie dünnem Eis dieses Konzept bei solchen jungen Menschen aufgebaut ist, deren Lebenstunnel das Kicken ist.
Fall Kalou offenbart Schwachpunkte
Frage: Welche Wirkung kann der Fall Kalou haben?
Peter Dabrock: Wenn die Bundesliga und damit das Pseudo-Containment wieder startet, wo wird dann das Problem sein? Dass sich die Spieler in der Kabine die Hand geben, wo sie doch beim Freistoss in der Mauer nebeneinanderstehen? Oder es zu einer Rudelbildung kommt?
Man kann Kalou im Grunde dankbar sein. Wir regen uns so auf akzeptieren gleichzeitig, dass einige Tage später alles, was im Fussball normal ist, wieder sein darf. Das zeigt noch einmal mehr die Scheinheiligkeit des gesamten Konzeptes.
Es zeigt, wie überreizt dieses ganze Konzept ist, dass man an dieser Stelle den Sündenbock gefunden hat. Dabei weiss man, dass man ein paar Tage später von Berufs wegen von morgens bis abends so weiter macht. Das Konzept ist von vorne bis hinten nicht durchdacht. Es wird eine fatale Wirkung auf das gesamte Einhalten der Einschränkungen haben.