WM 2022: Pascal Zuberbühler über Katar-Kritik, Infantino und Nati
Ex-Nati-Goalie Pascal Zuberbühler ist für die Fifa bereits in Katar. Im Nau.ch-Interview spricht er über die heftige Kritik an der WM 2022.
Das Wichtigste in Kürze
- Am Sonntag startet die WM mit dem Eröffnungsspiel Katar - Ecuador (17 Uhr).
- Ex-Nati-Goalie Pascal Zuberbühler spricht vor dem Turnier im Interview.
- Der 51-jährige Fifa-Angestellte freut sich auf die Spiele im Wüstenstaat. Und nervt sich.
Nau.ch: Zubi, die WM 2022 in Katar steht unmittelbar vor der Tür. Kribbelt es bei Ihnen schon?
Pascal Zuberbühler: Und wie! Ich kann es kaum erwarten, bis es am Sonntag mit dem Eröffnungsspiel Katar gegen Ecuador endlich losgeht. Das wird eine brisante Partie. Ich sage Euch: Auch die Kataris können Fussball spielen.
Nau.ch: Was ist denn Ihre Aufgabe in Katar?
Zuberbühler: Ich arbeite eng mit Arsène Wenger zusammen. Unser Ziel ist es, dass sich jedes Talent auf der Welt entwickeln kann. Auch in Afrika, Asien oder sonst irgendwo auf der Welt. Das ist eine riesige Aufgabe. Wenn man die letzten Turniere anschaut, es stehen immer nur Teams aus Europa und Südamerika im Halbfinal, das kann nicht sein. Wir wollen den Fussball globaler machen. Nicht alle sind so privilegiert wie wir in Europa. Es gibt Orte, an denen es keine Trainer und keine Infrastrukturen gibt. Nun haben wir ein neues System entwickelt.
Nau.ch: Und was machen Sie konkret?
Zuberbühler: Meine Aufgabe ist es, die Spiele in Katar zu beobachten, zu analysieren. Und dann mit unserer Datenbank auszuwerten.
Nau.ch: Es gibt heftige Kritik am Turnier. Beispielsweise, dass die WM 2022 nicht in Katar hätte stattfinden dürfen. Zudem gibt es Vorwürfe zu den Zuständen auf den Stadion-Baustellen, wo Menschen sogar ihr Leben verloren haben. Was sagen Sie dazu?
Zuberbühler: Ich bin kein Schönredner. Vieles war in Katar auch nicht gut. Aber es wurde auch viel getan, sehr viel mehr, als man denkt und hört. Deswegen kann ich diese Berichterstattung einfach nicht mehr hören und lesen. Alles ist nur noch negativ, und vor allem richtet sich vieles gegen Fifa-Präsident Gianni Infantino. Das ist unglaublich. Man will nur das sehen, was man sehen will. Es ist fast schon zur Mode geworden, die Fifa und ihren Präsidenten für alles, aber wirklich alles verantwortlich zu machen.
Nau.ch: Fakt ist, dass vieles schief lief.
Zuberbühler: Klar ist es der Job der Journalisten, Sachen ans Licht zu bringen. Aber bei der Vergabe waren fast alle ruhig. Warum kommt die Kritik genau jetzt vor Turnierstart? Ich konzentriere mich auf den Fussball und bin überzeugt: Es gibt eine super WM! Die Spieler sind frischer, haben keine langen Reisen zwischen den Spielen. Die Stadien liegen so weit auseinander wie Zürich und Luzern. Zudem sind die Temperaturen fantastisch.
Nau.ch: Es gibt sogar Boykott-Drohungen. Es gibt Fans, die den TV nicht einschalten wollen.
Zuberbühler: Die Fans, die ankündigen, dass sie die WM boykottieren werden, sollen das tun. Aber dann nicht den Fernseher einschalten, wenn die Schweiz plötzlich im Halbfinal steht.
Nau.ch: Ist Katar denn bereit, kann es losgehen?
Zuberbühler: Doha, die Stadien, die Trainingscenter und auch die Hotels – alles ist längstens parat. Infantino und der ganzen Fifa ist es wichtig, dass wir fussballerisch eine tolle WM präsentieren können. Ich sehe nicht alles mit der rosaroten Brille. Aber Infantino machte in den letzten Jahren alles dafür, dass diese WM gut rüberkommt.
Nau.ch: Es ist eine teure WM, der normal sterbliche Fussballfan kann sich diese Reise gar nicht leisten. Ist das eine gute Entwicklung?
Zuberbühler: Da muss ich Ihnen recht geben. Das ist eine spezielle WM. Jetzt geht es darum, dass wir eine gute WM sehen. Am Schluss küren wir den Weltmeister, das Team, das mit diesen speziellen Bedingungen am besten zurechtkam. Danach geht es darum, die richtigen Analysen aus dem Turnier zu ziehen. 2026 in den USA, Mexiko und Kanada wird wieder vieles anders sein. Ich hoffe, die Schweizer Fans können vor dem TV über den Halbfinal-Einzug jubeln.
Nau.ch: Apropos Nati: Sie selbst sind ja als WM-Goalie noch immer unbezwungen!
Zuberbühler: Auf diesen Weltrekord werde ich noch immer viel angesprochen. Mittlerweile wünschte ich mir aber, dass ich dazumal ein paar Tore bekommen hätte oder hie und da einen Fehler gemacht hätte! Dann wüsste ich wenigstens, warum wir ausgeschieden sind. Wir haben eine fantastische Qualifikation – den Türkei-Match ausgenommen – und WM gespielt. Wir haben super verteidigt, dann scheidest du im Penaltyschiessen aus, das ist schon bitter. Aber jetzt konzentrieren wir uns besser auf die heutige Nati und wie sie in Katar abschneidet.
Nau.ch: Wie weit schafft es die Schweiz? Und wer wird Weltmeister?
Zuberbühler: Wir dürfen nicht überrascht sein, wenn die Schweiz plötzlich im Halbfinal steht. In dieser Verfassung und mit diesem Trainer ist eine Überraschung möglich. Die Schweiz muss sich nicht verstecken. Aber natürlich muss unsere Nati zuerst die Vorrunde überstehen. Und an einer WM gewinnt nicht immer der Beste. Und die beste Mannschaft – von den Spielern her – ist Frankreich.
Nau.ch: Zubi, bitte nicht um den heissen Brei reden. Also, wer wird Weltmeister?
Zuberbühler: Mein Tipp lautet England. Auch wenn sie einen Riesendruck haben. Das Turnier findet im November statt, zum ersten Mal können sie nicht sagen, dass sie mental müde sind nach einer langen Saison.
Nau.ch: Danke Zubi, wir sehen uns in Doha auf eine Tasse Kaffee. Sie bezahlen!
*Pascal Zuberbühler (51) arbeitet seit 2017 bei der Fifa, ist Senior Football Expert und verantwortlich für die weltweite Torhüterausbildung.